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Berlin: Erfahrung zählt wieder

Eine Initiative von Handwerksbetrieben will älteren Arbeitnehmern eine neue Chance geben

Hartmut Rotter fühlt sich wieder gebraucht: Seit Januar dieses Jahres hat er einen festen Arbeitsplatz als Maler und Lackierer - nach mehr als sechs Jahren Arbeitslosigkeit und Gelegenheitsjobs. Immer wieder ließ sich der 55-Jährige von Zeitarbeitsfirmen vermitteln. „Das war eine Nerven aufreibende Zeit. Ich wusste nie, wo ich am nächsten Tag arbeite würde und war oft unterbezahlt“, sagt Rotter. Dass er heute wieder einen richtigen Job hat, sei auch gut für sein Selbstwertgefühl.

Rotter ist eine glückliche Ausnahme. In Berlin und Brandenburg gibt es mehr als 121 000 Arbeitslose über 50, die keinen Job finden. Das ist knapp ein Viertel der Erwerbslosen in dieser Region. Bei jedem zweiten Betrieb in Deutschland haben Menschen über 50 keine Chance, eingestellt zu werden. Und etwa die Hälfte aller Über-55-Jährigen ist nicht mehr berufstätig. „Viele Unternehmer haben mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich zum alten Eisen gehöre und sie lieber einen jüngeren Mitarbeiter einstellen wollen“, sagt Rotter.

Um älteren Arbeitslosen wie ihm zu helfen, hat der mittelständische Unternehmer Lutz Krause aus Berlin im Januar 2006 die „Initiative Handwerk“ gegründet. Mittlerweile sind insgesamt sechs Firmen dabei. Alle haben sich bereit erklärt, Bewerber über 45 Jahren bevorzugt einzustellen. Rotter und ein Kollege haben in Krauses Innenausbau-Firma einen neuen festen Arbeitsplatz gefunden. Acht weitere Berliner sind an die anderen fünf Firmen vermittelt worden.

Die Idee für die Initiative kam Lutz Krause, nachdem er seinen Job als Bauleiter bei Daimler-Chrysler aufgegeben hatte, um sich ausschließlich um seine Handwerksfirma zu kümmern. Die hatte er 14 Jahre lang nur nebenbei betrieben. „Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass man als hauptberuflicher Unternehmer eine soziale Verantwortung hat und etwas gegen die Altersarbeitslosigkeit tun muss“, sagt der 53-Jährige. Schließlich seien Ältere „die Perlen im Betrieb“, weil sie viel Erfahrung und Wissen mitbrächten. Beides könnten sie an die Jüngeren weitergeben. Er selbst kann sich gut in die Situation der etwa gleichaltrigen Arbeitslosen hinein versetzen.

Deshalb hat er begonnen, ein Netzwerk von Firmen in Berlin und Brandenburg schaffen, die zusätzliche Arbeitsplätze vor allem für ältere Menschen bereitstellen. In den letzten Monaten hat er jeden Tag dutzende Firmenchefs angerufen, angeschrieben und besucht. Die beteiligten Unternehmer haben sich außerdem verpflichtet, Ausbildungsplätze zu schaffen. So wolle die Initiative ein Zeichen gegen die hohe Arbeitslosigkeit setzen, sagt Krause: „Es sollen langfristige Arbeitsplätze entstehen.“

Mittlerweile hat Krause nicht nur Firmenchefs davon überzeugt, an der Initiative teil zu nehmen. Er hat auch weitere Unternehmen gefunden, die das Projekt auf andere Weise unterstützen: Eine Internetagentur betreut die Homepage der Initiative. Eine Berufsbekleidungsfirma gibt 50 Prozent Rabatt für die vermittelten Mitarbeiter. Einige der Unternehmen haben zugesagt, die teilnehmenden Betriebe regelmäßig über ihre Bauvorhaben zu informieren und Kostenvoranschläge bei ihnen einzuholen. So entsteht ein Anreiz für Handwerksfirmen, an dem Projekt teil zu nehmen. „Jeder dieser Wettbewerbe bringt uns weiter. Denn nur durch mehr Umsätze können wir auch zusätzliche Leute einstellen“, sagt Krause.

Über die Initiative hat auch Hartmut Schneppel einen Arbeitsplatz als Fliesenleger gefunden: „Ich bin froh über diese Chance, sonst hätte ich als Bauleiter nach Norwegen ziehen müssen. Und einen alten Baum sollte man nicht verpflanzen.“ Der studierte Bauingenieur und Fliesenlegermeister war länger als drei Jahre arbeitslos. Trotz einer Weiterbildung arbeitete er nie länger als ein halbes Jahr in einer Firma - auch im Ausland. „Viele wollen im Alter arbeiten und sind noch topfit, aber sie werden meistens nur als Lückenbüßer benutzt“, sagt der 53-Jährige. Das kann Unternehmer Ralf Köster nicht nachvollziehen. Er ist seit April dieses Jahres bei der Initiative dabei und will in diesem Jahr noch zwei Arbeitsplätze für Ältere schaffen. Von den 26 Mitarbeitern in seinem Maler-und Lackierbetrieb waren schon vorher fünf über 50. „Ich mache die Erfahrung, dass die Älteren oft verantwortungsbewusster und motivierter sind als die Jüngeren. Und der Krankenstand geht gegen null“, sagt Köster.

Doch viele andere Firmenchefs seien misstrauisch, sagt Initiator Krause. „ Dabei geht es uns um ein soziales Projekt, das auch den Firmen einen Vorteil bringt. Wenn wir uns zusammenschließen, können die Kunden auf einen Pool verschiedenster Handwerksleistungen zugreifen“, sagt Krause. Insgesamt sollen in diesem Jahr noch zehn weitere Firmen gewonnen werden und 50 neue Arbeitsplätze entstehen. „Bis jetzt erscheint diese Zahl zwar unrealistisch, aber wir sehen das als Herausforderung.“

Weitere Informationen im Internet:

www.initiative-handwerk.de

Lisa Garn

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