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Erinnerungen an Otto Sander: Diese seine Stimme, diese seine Seele

Berlin hat Otto Sander verloren. Und seine Kunst. Zwei frühe Gefährten erinnern sich hier an Stimmen aus dem Off und akkurate Frisuren. Und einen Star, der meistens schüchtern war.

PETER STOLTZENBERG

„Wir schreiben das Jahr 1967. Otto Sander gibt sein Debüt in der Freien Volksbühne, dem heutigen Festspielhaus an der Schaperstraße. Unter der Regie von H. J. Utzerath probt er die Titelrolle in Sternheims Komödie „Bürger Schippel“. Das Stück – eine bissige Satire auf den Standesdünkel wilhelminischer Zeit: Der biedere, von seiner bürgerlichen Reputation zutiefst durchdrungene Goldschmied Tilman Hicketier benötigt für sein Sänger-Quartett, mit dem er bereits zweimal einen Preis errungen hat, dringend einen Tenor, da der Tod eine schmerzliche Lücke in die edle Gemeinschaft gerissen hat. Ehrgeiz, Liebeshändel und die Gunst des Duodezfürsten stehen auf dem Spiel.

In der ganzen Stadt gibt es nur einen, der den Verstorbenen ersetzen könnte; dieser aber ist ein dreckiger Prolet, und schlimmer noch – uneheliches Kind; freilich eben mit einem makellosen, strahlenden Tenor. Das aber war nun Ottos Stärke nicht. Sein dunkel-melodischer, geschmeidiger Bariton, der schon damals so mühelos auch scharf und rau werden konnte, ließ sich nicht transponieren. Der Ausweg: Die Lieder, mit denen er sich den Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft und deren Reputation ersang, mussten aus dem Off gedoubelt werden – es half nichts.

Otto Sander war die Stimme Berlins

Letztlich gefiel das keinem von uns. Am wenigsten ihm selbst – auch wenn sein Debüt zum bejubelten Erfolg wurde und es wohl niemand gemerkt hat. Jedenfalls hat er nie erzählt, dass er darauf angesprochen worden sei.

Jetzt aber, da Otto Sander ,abgetreten’ ist, scheint es wie eine jener Ironien, mit denen das Leben uns zu foppen liebt, dass Otto the voice, der in den folgenden Jahrzehnten die Stimme Berlins wurde, bei seinem ersten Auftreten in Berlin ein Double zu Hilfe nehmen musste.“

Peter Stoltzenberg, Jahrgang 1932, hat als Dramaturg, Regisseur und Intendant Otto Sander auf zahlreichen Bühnen erlebt und begleitet. Er lebt in Berlin.

Sag’s mit Blumen. Am Freitag gedachten Anwohner ohne Worte an der Jenaer Straße 6, wo Otto Sander wohnte.
Sag’s mit Blumen. Am Freitag gedachten Anwohner ohne Worte an der Jenaer Straße 6, wo Otto Sander wohnte.

© Markus Hesselmann

MARGARETHE VON TROTTA

„Gerade habe ich wegen eines Seminars über den Unterschied zwischen Historie und Historienfilm noch einmal die Szene in meinem ,Rosa Luxemburg’-Film von 1987 gesehen, in der Otto Sander als Karl Liebknecht im Berliner Tierpark eine wunderbare Rede hält – nach dem Krieg, als die Sozialisten glauben, die Revolution könnte siegen. Seine Verve, seine Überzeugungskraft – fantastisch. Ich selber finde gar nicht unbedingt, dass Schauspieler den historischen Figuren gleichen müssen, die sie spielen, aber Otto war da sehr streng mit mir. Akribisch hat er überprüft, ob seine Frisur stimmt, er hat sein Aussehen mit Fotografien verglichen und sich die Liebknecht-Brille sogar selber besorgt. Mit sich selbst war er weniger streng, als Schauspieler hat er sich vertraut.

Otto Sander war ein König des Auftretens

Ich kannte ihn schon aus meiner Zeit als Schauspielschülerin. 1963 inszenierte Gerd Brüdern im Münchner Residenztheater ,Camino Real’ von Tennessee Williams. Für die Szenen, in denen das Volk auftritt, wurden 20 Statistinnen und Statisten ausgesucht. Eine davon war ich, einer war Otto Sander, der damals noch auf die Otto-Falckenberg-Schule ging. Er fiel einem gleich auf, seine Begabung ist einem förmlich entgegen gesprungen. Auch in meinem Ost-West-Film „Das Versprechen“ spielte er später mit, als Professor Lorenz und Mentor des Studenten Konrad, wieder eine sehr schöne Begegnung. Er war einfach perfekt, ein König des Auftretens: Er wusste immer genau, wo die Kamera steht. Und wenn er in einer Szene eigentlich nur von hinten zu sehen war, schaffte er es immer, irgendetwas einzubauen, damit er sich kurz umdrehen konnte.

Er war auch auf sympathische Weise gerissen. In ,Das Versprechen’ wird bei einer russisch-amerikanischen Konferenz Wein getrunken, im Film ist das ja meistens Traubensaft. Otto konnte den Requisiteur dazu bewegen, ihm echten Wein ins Glas zu schütten. Und ich wunderte mich, warum er immer röter im Gesicht wird! Ich glaube, er war ein schüchterner Mensch, einer, der sich nicht gleich vorwagt, der erst den Reißverschluss an seinem Herzen aufziehen muss. Aber dann kamen zarte, liebevolle Töne, eine Fülle, ein Tiefgang, eine Seele, die unwiderstehlich war.“

Margarethe von Trotta, Jahrgang 1942, lebt als Filmemacherin in München und Paris. Ihren Text hat Christiane Peitz aufgezeichnet.

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