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Ermittlungen: Rassistischer Angriff nur vorgetäuscht?

Der angebliche Überfall auf einen Italiener in Prenzlauer Berg sorgte über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Die Staatsanwaltschaft geht nun davon aus, dass der Mann sich bei einem Sturz in ein Gleisbett verletzt hat.

Berlin - Nach derzeitigen Erkenntnissen stürzte der 30-Jährige am vergangenen Wochenende auf dem S-Bahnhof Alexanderplatz betrunken auf ein Gleisbett und verletzte sich dabei, teilte die Ermittlungsbehörde am Mittwoch mit. Diesen Schluss ließen Bilder von Überwachungskameras auf dem Bahnhof zu.

Der angebliche Überfall hatte so kurz vor der Fußball- Weltmeisterschaft auch im Ausland Schlagzeilen gemacht. Italienische Zeitungen berichteten teilweise in großer Aufmachung über Gefahren, vor allem im Osten Deutschlands Opfer rechtsextremistischer Schläger zu werden.

Gegen den Hilfskellner wird jetzt wegen Vortäuschens einer Straftat ermittelt. Der 30-Jährige hatte behauptet, in der Nacht zum vergangenen Sonntag in der Schönhauser Allee im Stadtteil Prenzlauer Berg von drei kahlköpfigen Männern nach seiner Nationalität gefragt, als Ausländer beschimpft und mit einem Baseballschläger geschlagen worden zu sein. Mit der neuen Beweislage konfrontiert, schweigt der Italiener, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte.

Kamerabilder vom Sturz

Nach Darstellung von Justizsprecher Michael Grunwald zeigen Kamerabilder einen Mann, der auf dem Bahnhof Alexanderplatz ins Stolpern gerät und auf das Gleisbett fällt. Der Mann klettert zwar zunächst ohne Hilfe wieder auf den Bahnsteig, kann dann aber wegen einer Knieverletzung nicht weiter laufen. Derzeit würden Blutspuren in einer DNA-Analyse mit dem «genetischen Fingerabdruck» des Italieners verglichen. Feuerwehrleute hatten den Mann Sonntag früh mit gebrochener Kniescheibe ins Krankenhaus gebracht, wo er nach einer Operation noch einige Tage lang behandelt wird.

Bei den Ermittlungen waren schon bald Zweifel an der Überfall- Erzählung des Italieners aufgetaucht. Unter anderem fragten sich die Kriminalbeamten, wie es der 30-Jährige geschafft haben konnte, sich mit gebrochener Kniescheibe gegen 1.00 Uhr vom Tatort kilometerweit zum Alexanderplatz zu schleppen, wo er gegen 4.00 Uhr gefunden wurde. Merkwürdig fanden es die Beamten auch, dass sich keine Zeugen des Überfalls meldeten, obwohl die Schönhauser Alle auch nachts meistens noch belebt ist.

Im Glauben an einen Überfall von Neonazis hatten am Montagabend in Prenzlauer Berg mehrere hundert Menschen gegen Rassismus demonstriert. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte versprochen, «alles zu tun, um die Täter einer Bestrafung zuzuführen».

In den vergangenen Jahren sind in Deutschland immer wieder Überfälle von Neonazis vorgetäuscht worden - aus unterschiedlichsten Motiven. Nach Einschätzung von Rechtsmedizinern verbergen sich hinter solchen Lügengeschichten zumeist psychische Störungen oder schwere persönliche Probleme.

2001 erfand beispielsweise ein 30 Jahre alter Potsdamer eine Misshandlung durch Skinheads, um die Aufmerksamkeit seiner Freundin zurückzugewinnen. 1994 hatte ein angeblich von Neonazis eingeritztes Hakenkreuz auf der Wange einer 17-Jährigen in Halle bundesweit Entsetzen ausgelöst. Erst einige Tage später gab die gelähmte Rollstuhlfahrerin zu, sich selbst verletzt zu haben. In München täuschte 1993 ein 17 Jahre altes türkisches Mädchen einen Skinhead- Überfall vor, um ein heimliches Rendezvous mit ihrem Freund zu vertuschen. (tso/dpa)

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