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Berlin: Ersatzfamilie für eine gute Zeit

Wer in dieser Senioren-WG lebt, braucht kein Altersheim. Damit noch mehr Menschen so leben können, werden Spenden gebraucht

Herr Günther muss ein Genießer gewesen sein, als er noch jung und nicht von Parkinson gezeichnet war. In seinem Zimmer hängen sinnlich-erotische Zeichnungen. Nebenan erzählt das kleine private Reich von Frau Vogt, dass sie als Maklerin arbeitete, gesegelt ist und moderne Kunst sammelte, bevor ein Hirn-Infarkt die heute 49-Jährige aus ihrem alten Leben riss. Und Frau Müller aus dem Nachbarzimmer mag es barock, wie man an ihren Möbeln sieht. Vor über 50 Jahren starb ihr Mann und Vater ihrer vier Kinder. Mit Dreißig. Frau Müller ist jetzt 87 Jahre alt und beginnt noch immer zu weinen, wenn man sie nach dem jungen Mann auf dem Bild fragt.

Drei Lebenswege, drei Schicksale. Doch eines haben die Menschen gemeinsam: Sie kommen nicht mehr allein zurecht, aber sie wollten nicht ins Pflegeheim.

Jetzt haben sie ein neues Zuhause: Zu sechst leben sie in der Seniorenwohngemeinschaft von „Altern in Würde e.V.“ an der Bundesallee. 200 Quadratmeter groß ist die Wohnung mit Wohnküche und Gemeinschaftsbad. Jeder hat sein privates Zimmer gemietet, jedem wurde es nach eigenem Wunsch eingerichtet. Die Idee, eine betreute WG für alte Menschen einzurichten, hatte Antje Germar. Die 36-jährige Krankenschwester besitzt eine private Pflegestation. „Da kam ich oft zu Menschen, die mit der Pflege eines Angehörigen überfordert waren, aber den Verwandten nicht ins Heim geben wollten.“

Bei „Altern in Würde“ kümmern sich Pfleger rund um die Uhr, und die Bewohner sorgen füreinander. Wenn die blinde Frau Friederici schlecht drauf ist, setzt sich Frau Hauswald ans Klavier – mit einer Hand kann sie noch spielen. Dann singen die beiden Frauen Schunkellieder. Herr Günther, Rollstuhlfahrer und in der WG sozusagen der Hahn im Korb, schiebt den Damen höflich den Stuhl an den Tisch, wann immer er kann. Wie in jeder Wahlfamilie gibt es auch mal Zoff, sagt Antje Germar. „Aber alle haben zugenommen, seit sie hier sind. Das ist ein gutes Zeichen.“

Die Chefin arbeitet mit Herzblut. Anfangs hat Antje Germar „auf Liege und Luftmatratze geschlafen“. Eigentlich koordiniert sie nur Betreuung und Pflege. Aber als Frau Vogt Geburtstag hatte, hat sie eine Karte fürs Herman-van-Veen-Konzert besorgt und die behinderte Frau ausgeführt. Einfach so.

Wenn Frau Müller und Frau Hagedorn die Meerschweinchen auf den Schoß nehmen, genießen nicht nur die Tiere die Streicheleinheiten. Das WG-Konzept kommt an. In der Etage darüber soll eine zweite Alten-WG eröffnet werden; für einige der kleineren Wohnungen können sich noch Interessenten melden. Die Miete kostet zwischen 150 und 300 Euro, dazu kommen 200 Euro Haushaltsgeld. Doch erst müssen das Bad umgebaut und die Schwellen überbrückt werden. Dann werden Rohre verlegt und Handläufe installiert. Dafür hofft der Verein auf Spenden. „Altern in Würde“ sucht auch ehrenamtliche Helfer und Kontakt zu Vermietern.

Die Bewohner kennen sich inzwischen, als wären sie eine Familie. Als Frau Vogt während des Interviews die Tränen kommen, sagt Sitznachbarin Frau Hagedorn: „Sagen Sie was Nettes, damit sie wieder lacht.“

Spenden an: Spendenverein Der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Konto-Nr. 250030942, Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00. Bitte geben Sie Namen und Anschrift komplett an, damit wir Ihnen den Spendenbeleg zuschicken können. Auch Online-Banking ist möglich. Kontakt zu „Altern in Würde e.V.“: 752 45 04 .

Annette Kögel

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