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Berlin: Erste Wahl aus zweiter Hand

Wenn Kleidung alle Stilwechsel überdauert, dann kann sie Vintage-Mode werden. Immer mehr Läden haben sich darauf spezialisiert

Für Karl Lagerfeld war die Sache klar: „Ich würde niemals Vintage tragen,“ sagte der Designer einmal. „Da könnte ja einer drin gestorben sein.“ Das sehen die vielen Fans von alten Sachen, die als Vintage verkauft werden, mit Sicherheit anders. Im Englischwörterbuch steht „vintage“ für Jahrgang. „Vintage wine“ ist ein edler Wein, „vintage year“ das besondere Jahr, aber „vintage car“ ist ein Vorkriegsauto. Wenn einer was davon versteht, so muss das Martin Rey sein. Seit 20 Jahren nennt er sich selbst „vintage dealer“. Der Größte in Deutschland soll er sein, sagt man in der Szene. Bereits als 14-Jähriger trug er die ersten Markenklamotten aus den 30er Jahren, fing an zu sammeln, bis die Bude voll war, so dass er einiges wieder verkaufen musste. Heute hat er ein paar Regale bei Alex und Annika Graalfs im Rock-A-Tiki an der Eberswalder Straße gemietet. Das ist ein Laden, in dem die etwas feineren Rock’n’Roller einkaufen. „Vintage, das ist das Goldene Zeitalter“, sagt Martin, „keine Massenware, ausgesuchte Einzelstücke, kleine Auflagen, limitierte Editionen und alles älter als 35 Jahre.“ Fliegerjacken, Hawaiihemden oder Jeans, letztere gibt es auch neu produziert im Retrochic für 89 bis 220 Euro, echt Indigo gefärbt und von solider Denimqualität. „Wir importieren ausschließlich aus den USA, das ist was für Leute, die die Nase voll haben von der Wegwerfmentalität der Deutschen, die legen Wert auf Haltbarkeit und Tragekomfort“, sagt Alex.

Ein ähnliches Qualitätsbewusstsein haben auch die Kunden von Robert Schultz. Der 26-Jährige hat sich vor drei Jahren mit dem Verkauf von Retroturnschuhen, also jenen, die alten nachempfunden sind, selbstständig gemacht. Vintage, so behauptet er, sei keine Frage des Alters. „In Japan, England oder den USA übernachten die Leute schon lange vor den Läden, um den ultimativen Sneaker zu bekommen. Aber wir fangen hier erst mal an!“. Eine Antwort, warum er gerade Retros und keine Originale verkauft, hat er auch: „Die Sohlen von den blütenweißen Turnschuhen vergilben schnell, werden brüchig, aber man bekommt die auch nicht mehr so.“ Ob alt oder neu, den Leuten scheint es egal zu sein. Vor einiger Zeit kam einer mit einem Hammer ins Geschäft und schlug auf den Glaskasten ein, in dem der „Superstar 35“ stand, ein Turnschuh von anno 1983, 2005 in Italien wieder ausgelegt und 7500 Euro wert. Nur 35 Exemplare gibt es davon weltweit. „Very very Vintage“, sagt Robert dazu. Sein Durchschnittskäufer sei ein modebewusster Dreißiger, dem es nichts ausmacht, auch mal 80 bis 150 Euro zu zahlen und manchmal auch mehr.

Schickes Altes für die Nase verkauft Uta Geyer in ihrem Laden „Lunette“. Die Kunststudentin hat ihr Faible für Brillen aus vergangenen Tagen entdeckt, als sie ein ganz individuelles Modell für sich selber suchte. Ihr war entschieden zu langweilig, was die Fachgeschäfte boten. Und auf dem Flohmarkt fand sie nur Brillengestelle, die alles andere als funktionstüchtig waren. Bei ebay wurde sie dann fündig – und zwar mit einer ganzen Optikereinrichtung aus den 60er Jahren. Jetzt hat die Münchnerin einen Laden im Winzstraßenviertel und verkauft Rock-aBilly-Katzenaugen, Pilotenbrillen oder Klassiker wie Ray-Ban-Aviator, ungetragene Originale, die zwischen 45 und 130 Euro kosten.

„Natürlich gibt es in Berlin eine Menge Second-Hand-Läden,“ meint Uta Geyer, „aber ein altes T-Shirt von Humana ist noch kein Vintage. Für diese Erkenntnis brauchen die Deutschen aber noch ein paar Jahre, die sind ausgesprochene Modemuffel. Geh mal die Kastanienallee rauf und runter, da hast du das Gefühl, die sind alle geklont.“

Dolores Kummer

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