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Erstwähler 2002: "Damals war ich naiv"

Berlinerinnen und Berliner erzählen von ihrer ersten Bundestagswahl. Koray Kelahmetoglu erinnert sich an eine Abstimmung im Zeichen des Irak-Kriegs.

Ich bin Koray Kelahmetoglu, 35 Jahre alt, und bin als Rapper und Sänger unter dem Künstlernamen Kor-I bekannt.

Ich war bei meiner ersten Wahl 21 Jahre alt und bin von meinen Eltern nicht hingezerrt, aber doch darum gebeten worden, hinzugehen. Meine Eltern sind politisch sehr interessiert und waren es auch damals. Und für sie war klar – ich komme aus einer Arbeiterfamilie –, wer gewählt werden sollte. Aber es blieb mir natürlich frei überlassen, es wurde kein Druck ausgeübt. Das Thema soziale Gerechtigkeit war für uns sehr wichtig, als Familie mit Migrationshintergrund.

Ich habe es eher als eine Pflicht empfunden und noch nicht ganz verstanden, dass es tatsächlich ein Stück Freiheit ist. Menschen in anderen Ländern können schließlich nicht wählen.

Damals, 2002, hat mich besonders beeindruckt, wie hart Politik für den politischen Gegner sein kann. Denn vorher war Rot-Grün schon an der Macht und die CDU war sehr, sehr knapp davor gewesen, selber an der Macht zu bleiben, und hat mit weniger als einem Prozentpunkt gegen die SPD verloren.

Für mich war der Irak-Krieg ausschlaggebend: Im ersten TV-Duell, das damals zwischen zwei Kanzlerkandidaten – Edmund Stoiber und Gerhard Schröder – ausgetragen wurde, hatte der amtierende Kanzler Schröder noch versprochen, sich nicht am Irak-Krieg zu beteiligen.

Versprechungen und Enttäuschungen

Bei meiner ersten Wahl, würde ich heute sagen, war ich sehr naiv. Wählen ist wichtig und das sehe ich immer noch so, aber ich habe geglaubt, ich bewirke viel mehr mit meiner einen Stimme. Es hat mich enttäuscht, dann zu sehen, dass das, was versprochen wurde, nicht eingehalten wurde. Außerdem wurde damals der Regierung unterstellt, dass es einen Reformstau gebe. Man hat auch gesagt man arbeite daran, man werde einiges ändern – und ich habe nicht das Gefühl, dass ein Großteil davon bis heute eingehalten wurde.

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Ich gehe dieses Jahr wählen, weil ich die Demokratie retten oder schützen möchte und nicht weil ich von einem Wahlprogramm oder irgendeiner Partei überzeugt bin. Ich bin seit Februar dieses Jahres Vater von Zwillingen, ein Junge, ein Mädchen, und überglücklich. Was mich unsicher stimmt, ist das vorher Gesagte mit der Politik.

Was gebe ich meinen Kindern weiter, wenn es irgendwann zu diesem Thema kommt? Natürlich sollen sie selbst entscheiden, wen sie wählen und wie sie die Situation einschätzen. Aber ich habe die Freude an der Politik verloren und hoffe, dass ich das nicht weitergebe.

Aufgezeichnet von Muhamad Abdi und Ronja Ringelstein.

Die Videointerviews mit allen befragten Erstwählern sowie Grafiken, Analysen und Wahlplakate zu jeder Wahl finden Sie in unserem Projekt "Erste Wahl: Zeitreise durch die Bundestagswahlen", das in Zusammenarbeit mit Philipp Bock und Lisa Charlotte Rost von Tagesspiegel Data entstanden ist. Dieses Projekt sowie Umfragen, Kieztouren durch Berlin, eine Kandidatenbank und vieles mehr zur Bundestagswahl finden Sie in unserem Wahl-Spezial.

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