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Berlin: Ex-Bürgermeister Schütz: Regierender wider Willen

Worüber redet man in diesen Tagen, wenn nicht über den Anschlag auf die Vereinigten Staaten. Klaus Schütz ist schnell beim Thema.

Worüber redet man in diesen Tagen, wenn nicht über den Anschlag auf die Vereinigten Staaten. Klaus Schütz ist schnell beim Thema. Er zieht eine Parallele zum Mord von Sarajewo, dem Anlass für den Ersten Weltkrieg: "Ich habe das Gefühl eines tiefen Einschnitts, der bestimmend für das Jahrhundert sein kann. Ein einziger Anlass hat die Illusion der Sicherheit zerstört." Nur welcher Feind wird wo bestraft? "In solchen Fällen werden auch Feinde ernannt", sagt der erfahrene Politiker und Diplomat ruhig.

Am Montag begeht der einstige Regierende Bürgermeister seinen 75. Geburtstag. "Ich bin ein älterer Knacker", meint er selbstironisch. An solchen Zwischentönen mit Augenzwinkern erkennt man ihn wieder. So, wie er da in seinem Sessel vor der Raum füllenden Bücherwand sitzt und über die Politik von heute und gestern plaudert, von den Ursachen der Berliner Finanznöte und der Ost-West-Unterschiede bis zum internationalen Terrorismus, so nimmt man ihm den "älteren Knacker" nicht ab.

Er lacht ja selbst darüber. Am kommenden Mittwoch gibt ihm der Regierende Bürgermeister im Roten Rathaus einen Geburtstagsempfang. Alle Schütz-Nachfolger sind eingeladen: Dietrich Stobbe, Hans-Jochen Vogel, Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen, Walter Momper. Wieder scherzt er: "Für einen Verein braucht man sieben. Das reicht nicht, es sei denn, man zählt Diepgen doppelt."

Er hält große Stücke auf Klaus Wowereit, den SPD-Genossen: "Der macht es gut." Man kennt Klaus Schütz als unvoreingenommen, aber dass einer, der die Narben der Stadt so gut kennt, eine Lanze für die PDS bricht, überrascht schon. "Ich bin ein Sozial-Liberaler", doch wenn es nach der Wahl nötig ist, muss man die PDS mit hineinnehmen in den Senat. Das ist in Ordnung." Wieso? "Die PDS stand vor zehn Jahren nicht auf dem Boden der Verfassung, jetzt hat sie zu den drei Testfragen verbindliche Aussagen gemacht." Damit meint der ehemalige Regierende die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED von 1946, den blutig niedergeschlagenen Volksaufstand am 17. Juni 1953, den Mauerbau am 13. August 1961. Er sieht gar kein richtiges PDS-Programm, "die pflegt ihre regionale Klientel".

Toleranz - die Schützsche Familie verkörpert sie. Seine Frau und er haben die Kinder evangelisch erzogen. Die Tochter trat zum jüdischen Glauben über, Gerry Smith, der Leiter der American Academy, ist sein Schwiegersohn, die drei Enkel, an denen er sich freut, sind jüdische Amerikaner. Ein vierter Enkel hat eine Katholikin geheiratet. "Es hat sich ergeben, es ist so selbstverständlich bei uns", sagt er. Klaus Schütz war und ist Pragmatiker, Humor und Ironie helfen ihm, die Dinge aus der Distanz zu sehen.

Er war seit den fünfziger Jahren ein enger Vertrauter Willy Brandts. Er war Bundessenator, managte den Wahlkampf des Regierenden Bürgermeisters Brandt als Kanzlerkandidat 1961, folgte ihm als Staatssekretär ins Auswärtige Amt. Das wäre er gern geblieben. Doch in Berlin war 1967 nach dem Rücktritt von Heinrich Albertz Not am Mann; er wurde Regierender Bürgermeister wider Willen. Zehn bewegte Jahre war er es, in erster Linie ein Statthalter der Bonner Ost-Politik. "Und das ist gut so", pflegte er seine Aussagen zu bekräftigen; Wowereit hat den Spruch neu erfunden.

Die Berliner mochten ihn. Aber ein Volkstribun war er nie. Die APO-Rebellion gegen den Vietnam-Krieg der Schutzmacht Amerika ("Brecht dem Schütz die Gräten, alle Macht den Räten!"), die Ostpolitik kontra Antikommunismus, miese kleine Filzaffären, Selbstzerfleischung der SPD, kleinkarierter Streit in der SPD/FDP-Koalition - das kostete viele, viele Wählerstimmen. Er wollte den "Geist der Nörgelei" aus der Stadt vertreiben, er hielt das Kleine nicht für groß: "Und an einem bestimmten Punkt wollte ich nicht mehr kämpfen." Sein "Tiefststand" war 1975 die Entführung des CDU-Chefs Peter Lorenz, mit dem er befreundet war. Schütz hatte entscheidenden Anteil daran, dass Lorenz gegen terroristische Häftlinge ausgetauscht wurde. Nicht alle in Bonn und Berlin waren dafür: "Ich wäre zurückgetreten, hätte man Lorenz ermordet."

Doch lieber redet er über eine andere Episode aus seiner Zeit als Bundessenator. Sie illustriert eine Tat, auf die er wirklich stolz ist. Diplomatisch geschickt rang er der Adenauer-Regierung, die jeden Anschein der Anerkennung der DDR vermied, das Okay zum ersten Berliner Passierscheinabkommen ab: "Wir taten ja nie etwas gegen Bonn." In letzter Minute schaffte er es, sonst wäre es zu Weihnachten 1963 nichts mehr geworden. Er wird nie vergessen, wie er den Minister Westrick vom Kanzleramt nachts um drei im Zug aufstöberte; der war auf dem Weg zum Begräbnis des früheren Bundespräsidenten Theodor Heuss: "Er fragte mich: Von Mann zu Mann, Herr Schütz, können wir das machen? Ich sagte Ja. Er sagte, dann ist es in Ordnung. Das habe ich ihm hoch angerechnet."

Klaus Schütz hat als Regierender Bürgermeister viel für die Jüdische Gemeinde getan und für gute Kontakte zu Israel. So wurde er nach seinem Sturz 1977 hochgeachteter Botschafter in Israel. Später war er viele Jahre Intendant der Deutschen Welle und Gründungsdirektor der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen. Erst 1994 zog es ihn nach Berlin zurück. Er machte sich in Ehrenämtern nützlich. Sein Name hatte Renommee.

So kam er 1996 auch zu seiner glücklosen Rolle als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Repräsentieren sollte und wollte er, doch er ahnte nicht, was auf ihn zukam: "Ich habe dann festgestellt, es läuft nicht gut." Im Juli dieses Jahres trat er schließlich zurück, aber er bleibt natürlich bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens. Er leitet auch noch Förderkreise - für die Gedenkstätte Sachsenhausen, für das Kindertheater Carrousel in Lichtenberg. "Nur habe ich keine Lust mehr, die Abende in Sitzungen zu verbringen, meine Frau musste lange genug allein zu Hause sitzen." Partys braucht er sowieso nicht: "Da bin ich immer schnell verschwunden."

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