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Suche nach Elias. Die Polizei hat weiter keine Spur von dem Sechsjährigen aus Potsdam.

© Ralf Hirschberger/dpa

Fall Elias aus Potsdam: Polizei geht sogar Hinweisen von Hellsehern nach

Die Polizei hat fast alle 900 Hinweise zum vermissten Elias aus Potsdam ausgewertet - auch die Eingebungen von Hellsehern. Ein Wunder?

Seit fast einem Monat ist der kleine Elias aus Potsdam verschwunden - von den fast 890 Hinweisen zu dem Sechsjährigen sind mittlerweile mehr als 860 ausgewertet. Ohne konkretes Ergebnis. Die Polizei ist dabei sogar Eingebungen von selbst ernannten Wahrsagern nachgegangen. „Zu einer weiter zu verfolgenden Spur“ habe das aber nicht geführt, hieß es bei Soko „Schlaatz“. Insgesamt habe es Hinweise „im unteren zweistelligen Bereich“ von Wahrsagern.

Trotz der harten Fakten – die Faszination für Übersinnliches lässt sich kaum verleugnen. Das zeigt auch der Erfolg von Krimi-Fernsehserien, in denen Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten als sogenannte „psychic detectives“, kurz Psi Detective, in Ermittlerteams aktiv sind. Und selbst erfahrene Beamte der Brandenburger Polizei haben schon mit Hellsehern zu tun gehabt. Es gibt sogar führende Beamte, die in ihrer Karriere schon einmal Erfolg mit solchen Hinweisen hatten. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel.

Zusammenarbeit hat eine lange Tradition

Der Umgang mit Hellsehern und Telepathen hat bei der deutschen Polizei eine fast hundertjährige Tradition. Erstmals dokumentiert wurde die offizielle Ermittlungshilfe von Hellsehern im Jahr 1919. Offenbar war es durchaus verbreitet, Parapsychologen für die Ermittlungen hinzuzuziehen – an Fingerabdrücke und DNA-Spuren war schließlich nicht zu denken. Es war übrigens Albrecht Hellwig (1880–1951), ab 1921 Landgerichtsdirektor in Potsdam, der umfangreiches Material zu Hellsehern bei Ermittlungen sammelte und kriminalpsychologische Studien veröffentlichte. Er galt als ausgewiesener Fachmann für Parapsychologie und Kriminaltelepathie. Und er wies angeblichen Telepathen mehrfach Betrug nach.

Der Fall der Wahrträumerin aus Frankfurt am Main

Zu den bemerkenswerten Einzelfällen aus dem Archiv von Hellwig zählt auch der Fall der Wahrträumerin Minna Schmidt aus Frankfurt am Main. Sie war 1921 an der Suche nach den Leichen zweier Bürgermeister beteiligt. Der damalige Oberbürgermeister von Herford kehrte mit dem ehemaligen Amtskollegen aus seiner Stadt von einem Spaziergang in den Wäldern um Heidelberg nicht zurück. Die Wahrträumerin Schmidt soll korrekt erklärt haben, wo die Leichen zu finden sind. Bei der Polizei war die Zusammenarbeit mit Hellsehern dann recht verbreitet – bis das Innenministerium 1929 per Erlass einschritt.

In den 1950er Jahren warnte dann der Freiburger Psychologieprofessor Hans Bender, Aussagen von Kriminalmedien seien für Ermittlungen meist nutzlos. Fast „gemeingefährlich“ nannte er sogar das Vorgehen selbst ernannter „okkulter Detektive“. Trotz aller Zurückhaltung bei der Polizei, kam es immer wieder zur Zusammenarbeit, etwa als RAF-Terroristen 1977 den damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführten. Im Zuge der Suche nach Schleyer wurde der Niederländer Gerard Croiset befragt. Die Polizei veranlasste auf Grundlage von Croisets Aussagen Observationen, in einer Garage fanden Beamte dann den Fluchtwagen der RAF, mit dem Schleyer entführt worden war.

Polizei lud Hellseher zu NSU-Mord-Ermittlungen ein

In anderen Fällen gestaltet sich die Zusammenarbeit der Polizei mit Wahrsagern grotesk. Etwa bei dem NSU-Mord an dem türkischen Gemüsehändler Süleyman T. in Hamburg-Bahrenfeld im Jahr 2001. Mit drei Schüssen in den Kopf wurde er hingerichtet. Über Jahre aber fand die Polizei in Hamburg nichts. Deshalb lud die Hamburger Polizei 2008 sogar einen Wahrsager aus dem Iran ein. Er bekam die Daten zu dem Verbrechen und trat angeblich in Kontakt mit dem getöteten Süleyman T. Das vermeintliche „Ermittlungsergebnis“ des Wahrsagers: Es war ein junger Täter, vermutlich Südländer, wohl Türke, das Opfer habe Kontakt mit Rockern gehabt, deren Chef hieß Armin, es ging um Drogen.

Keine Spur zum Verschwinden von Maddie

Auch im Fall des 2007 aus einer Ferienwohnung in Portugal verschwundenen Mädchens Madeleine Beth McCann aus Großbritannien, bekannt als Maddie, taten sich Hellseher hervor, besonders über die Medien. Darunter auch Michael Sch. aus Siegburg, der sich auch im Fall um den vermissten Elias mit medialer Begleitung an die Potsdamer Polizei gewandt hat. Sch. ist nach eigenen Angaben „primär hellhörig“,habe eine „innere Stimme“. Im Fall Maddie stellte er per Ferndiagnose fest, dass die Leiche des Mädchens 40 Kilometer von der Ferienwohnung der Eltern entfernt liegen müsse. Die Polizei fand nichts, Sch. war immerhin ein paar Mal im Fernsehen.

Eine Untersuchung am Hamburger Institut für kriminologische Sozialforschung ergab 2007, dass nur wenige Landeskriminalämter Erfahrung mit Hellsehern gemacht haben. Hellseher führten demnach in der Regel nicht zur Aufklärung von Verbrechen. Bei Angehörigen von Opfern schwerer Straftaten wecken Übersinnliche aber oft Hoffnungen. Besonders wenn die Polizei mit ihren Methoden nicht weiterkommt, die Medien aber immer wieder berichten, dass der Druck auf die Ermittler hoch ist. Zuweilen ist es schlichte Wahrscheinlichkeitsrechnung: Bei Hunderten Vermisstenfällen pro Jahr ist sicherlich auch mal ein Treffer dabei.

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