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Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

Fallstricke des Alltags: Darf man stricken unterm Tannenbaum?

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen.

Seit dem Weihnachtsfest bewegt mich folgende Frage: Die Freundin (44) meines Sohnes (46) mag kein Weihnachten. Wir feiern immer im Familienkreis (7 Erwachsene) und diesmal gab es nach der Bescherung Raclette. Mein Sohn hat nun seine Freundin kurzfristig vor dem Fest überredet, an der Weihnachtsfeier teilzunehmen. Sie wollte jedoch nur dann kommen, wenn sie auch stricken darf. Dies habe ich abgelehnt. Es war für mich ja kein Kaffeeklatsch oder ein sonstiges gemütliches Beisammensein. Bin ich zu kleinlich?

Ruth, traditionsbewusst

Da Sie so direkt fragen, könnte dies die kürzeste Kolumne aller Zeiten werden. Die Antwort lautet nämlich „Ja“. Ich will Ihnen trotzdem gern erklären, warum. Dass Ihnen die Sache seit dem Fest keine Ruhe lässt, sollte Ihnen zu denken geben. Das liegt ja nun auch schon wieder eine Weile zurück. Im Übrigen spricht das aber auch sehr für Ihre Sensibilität. Der Gedanke, dass Weihnachten auf eine ganz bestimmte, gesetzt festliche Art begangen werden muss, hat schon viel Unglück in die Welt gebracht. Gerade Feiertage schaffen leicht Anlass zu Streit, weil sie mit so hohen Erwartungshaltungen verbunden ist. Dabei wäre es so einfach, gemeinsam etwas freie Zeit vergnügt zu genießen. Ich finde, wenn es gelingt, einen Weihnachtsabend als gemütliches Beisammensein zu organisieren, ist schon viel gewonnen. Was will man denn mehr? Strenges Protokoll und gestärkte Kragen für alle? Mal abgesehen davon, dass das gar nicht mehr so zeitgemäß ist, macht es vielen auch keinen Spaß, auf diese Weise zu feiern. Großzügigkeit sollte sich nicht nur auf Geschenke erstrecken. Im Herzen kann sie Wunder bewirken. Vielleicht mag die Freundin kein Weihnachten, weil ihr das bei Ihnen zu steif zugeht. Kann natürlich auch sein, dass Sie die Freundin nicht mögen und sich durch ihren Wunsch zu einer Machtprobe herausgefordert sahen. Das aber käme mir alles noch unweihnachtlicher vor, als wenn die Familie in Pyjamas mit verstrubbelten Haaren bei Schmalzstullen und Bier aus der Flasche feiert. Ich denke, Sie hätten die Freundin willkommen heißen und ihr einen Korb voller Strickgarn schenken sollen.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, "Immer wieder sonntags", 10876 Berlin) oder mailen Sie diese an: meinefrage@tagesspiegel.de

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