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Auf Schritt und Tritt. Manche Stalker lassen sich von Polizei und Gefängnisstrafen nicht abhalten. Für die Opfer ist es ein nicht enden wollender Alptraum. Foto: Theo Heimann / ddp

© ddp

Berlin: Fanatische Fantasien

Ein 54-jähriger Türke steht als Stalker vor Gericht – bereits zum dritten Mal Seit Jahren verfolgt er eine junge Verkäuferin. Jetzt muss er in Gefängnis

Eins stand fest für Tugrul O.: „Ich habe Fehler gemacht. Aber ich bin kein Verbrecher.“ Jahrelang stellte der stämmige Mann, 54 Jahre alt, im Süden Berlins einer jungen Frau nach. Linda B. war ihm als Verkäuferin in einer „Tchibo“-Filiale aufgefallen. Tugrul O. schrieb der hübschen Frau Briefe, er belauerte sie. Dreimal stand er vor Gericht, zuletzt am Mittwoch. Da verurteilte eine Strafkammer den Mann, der von sich selbst sagte, er sei „verliebt“, zu einer Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren ohne Bewährung.

„Nachstellung“ – eher als „Stalking“ bekannt – ist erst sein 2007 strafbar. 2153 Fälle erfasste die Berliner Polizei im vergangenen Jahr, 1813 wurden aufgeklärt. Stalking ist mehrheitlich ein Männerdelikt; ein Viertel der Tatverdächtigten ist – wie Tugrul O. – nichtdeutscher Herkunft. Der Kriminalstatistik zufolge sank die Anzahl der Fälle im vergangenen Jahr spürbar (von 2231 im Jahr 2009 auf 2153). Das wird aber Frauen wie Linda B. kaum trösten. Ihr half es nicht mal, dass sie ihren Arbeitsplatz wechselte. Tugrul O., von Beruf angeblich „Rechtsbeistand“ für Türken in Berlin, verheiratet und Vater einer Tochter, schrieb ihr weiter Briefe, in denen er eine gemeinsame Zukunft entwarf – 200 Briefe sollen es gewesen sein. Und er fand sie auch am neuen Arbeitsplatz.

Linda B. wehrte sich, das wurde in der Berufungsverhandlung am gestrigen Mittwoch überdeutlich, mit fast allen Mitteln. Sie stellte ihn zur Rede und sagte ihm, sie wolle nichts mit ihm zu tun haben. Es kümmerte ihn nicht. Sie erwirkte auf eigene Kosten eine Verbotsverfügung, um ihn auf Abstand zu halten. Tugrul O. machte weiter. Sie zeigte ihn an. Im ersten Verfahren erhielt Tugrul O. eine Art Verwarnung vom Amtsgericht: sechs Monate auf Bewährung. Unbeeindruckt schrieb und schickte O. weiter Briefe und stand stundenlang vor dem Schaufenster des Kaffee-Ausschanks. Abermals wurde er verurteilt, diesmal zu einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung.

Alles wegen einer Flut von Briefen voller wirrer Gefühle und unerwünschter Details aus seinem Leben sowie O.s Herumstehen vor einem Laden? Wie sehr sich Linda B. von ihrem Stalker bedrängt und in ihrer Freiheit beeinträchtigt fühlte, zeigte sich in der Verhandlung. Als Zeugin berichtete die hübsche dunkelhaarige Frau, wie die erst wohl etwas bizarren Annäherungsversuche eines älteren Mannes mit Bauch und gegeltem Haar zum Albtraum wurden, einschließlich Schlafstörungen, Wechseln des Arbeitsplatzes, Abbruch der Ausbildung zur Filialleiterin. „Ich hab’s psychisch einfach nicht ausgehalten“, sagte Linda B. unter Tränen. „Ich will mein altes Leben zurück.“

Er ekele sie an, habe sie Tugrul O. gesagt – der Stalker ließ sie brieflich wissen, sie sei Gegenstand seiner sexuellen Fantasien. Sogar die Zahlung eines Schmerzensgeldes von über 3000 Euro brachte Tugrul O. nicht zum Nachdenken – so wenig, wie die „Gefährderansprache“ einer Polizistin, die O. vor weiteren strafrechtlichen Folgen seiner Nachstellerei warnen wollte. Die Polizistin Ines K. berichtete als Zeugin von einem Gespräch mit Tugrul O., in dem sie versuchte, ihm ein Gefühl für das zu vermitteln, was er mit Linda B. machte: „Als ich ihn fragte, wie er sich fühlen würde, wenn das jemand mit ihm machte, ist er einfach gegangen“, erinnerte sich die Polizistin.

Wie sie dürften die Staatsanwältin, die Richterin und die meisten Zuhörer von Tugrul O. den Eindruck gewonnen haben, ihn interessiere weniger Linda B. als seine Fantasien von ihr. Ob er schon mal an eine Therapie gedacht habe, fragte ihn die Staatsanwältin. „Was für eine Therapie?“, fragte er zurück – und sagte, wenn er krank wäre, dann müsse auch die Strafe aufgehoben werden. Linda B.s Anwältin Xenia Wolff gewann am Mittwoch überdies den Eindruck, Tugrul O. sei nicht nur uneinsichtig – er werde langsam auch aggressiver. „Dein Herz ist nicht hübsch wie dein Gesicht“, hatte O. nach einem der Gerichtsverfahren an Linda B. geschrieben. Die Richterin versprach ihm jetzt, jeder weitere Brief werde zu einem neuen Ermittlungsverfahren führen. Werner van Bebber

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