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Berlin: Fehlurteil: Der Richter sah keine Ausbruchsgefahr

Auf dem Weg zum Prozess musste der Angeklagte keine Handschellen tragen Von Martin R. fehlt bisher jede Spur – er türmte in Gefängniskleidung

Die Flucht eines Angeklagten am Dienstag aus dem Kriminalgericht ist durch eine Entscheidung des Richters begünstigt worden. Dieser hatte erlaubt, dass Martin R. ohne Handschellen und nur von einem Wachtmeister begleitet, zu den Verhandlungen geführt wurde. Bis gestern Abend blieb die Fahndung nach dem 44-jährigen Betrüger ergebnislos.

Martin R., das wurde gestern bekannt, entwich durch den leeren Saal 618 aus der Vorführzelle im Keller. Dort hatte er den Wachtmeister mit einer Glasscherbe bedroht, gefesselt und ihm die Schlüssel abgenommen. Aus dem Keller gelangte R. durch die Vorführgänge in den leeren Saal, von dort schloss er sich die Tür zum öffentlichen Treppenhaus auf. So verließ er unbehelligt das Gericht an der Turmstraße, seine blaugraue Häftlingsjacke hatte er vor der Mittagspause im Gerichtssaal gelassen. Um an die Scherbe zu kommen, musste R. nicht einmal eine Scheibe einschlagen. Wie es bei Justizangestellten hieß, seien in den unterirdischen Gängen viele Fensterscheiben defekt und seit Jahren nicht mehr erneuert. Da Martin R. nicht gefesselt war, musste er sich nur ein loses Glasstück nehmen. Bereits im November 2005 prangerte der damalige Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge dies an: „Im gesamten Gebäude befinden sich die gefährlichsten Gegenstände, die zum Teil gerade aufreizend offen herumliegen“, heißt es in dem internen Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Gegen Martin R. wird vor dem Landgericht Berlin seit August 2005 ein umfangreiches Betrugsverfahren geführt. Er soll sich seit Mitte der 90er Jahre mit kriminellen Grundstücksgeschäften und Urkundenfälschung 2,8 Millionen Euro ergaunert haben. Gewaltdelikte werden ihm nicht vorgeworfen. R. befand sich seit Juni 2004 in Untersuchungshaft in Moabit.

Die Justizverwaltung kündigte gestern an, dass das Sicherheitstraining für Justizwachtmeister intensiviert werden solle, zudem sollen die Vorschriften der Vorführung von Angeklagten von der U-Haft in das Kriminalgericht verschärft werden. 2005 waren nach Justizangaben zwei Angeklagte dort geflohen, in diesem Jahr waren es bereits ebenfalls zwei. Wie berichtet, war vor einem Monat der libanesische Kriminelle Hassan Ch. von der Toilette geflohen. Auch er ist noch nicht wieder gefasst. Nach beiden Fluchten hatte die Opposition den Rücktritt von Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) gefordert. Die bei der Flucht Anfang August defekte Alarmanlage, sei mittlerweile repariert, versicherte eine Justizsprecherin.

CDU-Rechtsexperte Michael Braun sagte dazu, dass die Alarmanlage nur dann etwas nutze, wenn sie ausgelöst werde. „Doch es gibt viel zu wenig Auslöseknöpfe.“ Braun nannte gestern drei „Kardinalfehler“ im Gericht: Die Aufsicht über die Angeklagten durch nur einen Beamten, die fehlende Videotechnik zur Überwachung des Gebäudes und die fehlende Meldepflicht für die Wachtmeister. „45 Minuten lang hat niemand den gefesselt in der Zelle liegenden Justizangestellten vermisst“, kritisierte Braun.

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