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Berlin: Feindliche Übernahme

So genannte Mietnomaden werden für Vermieter zunehmend zur Plage: Sie zahlen nicht und man wird sie nur mühsam wieder los

Hätte nicht besser laufen können, dachte Dietmar Heide. Kaum hatte sein alter Mieter die Doppelhaushälfte verlassen, zog Klaus Harborn (Name geändert) samt Lebensgefährtin ein. Alles reibungslos, kein Mietausfall, so schien es. Harborn stellte sich als Selbstständiger vor, die Freundin als Krankenschwester, sie zeigten Einkommensabrechnungen. „Ich hatte ein gutes Gefühl. Die wirkten grundsolide und nett“, sagt Heide. Inzwischen ist der 42-jährige Industrieverpacker klüger. Acht Monate nach dem Einzug der neuen Mieter hat er keinen Cent Miete gesehen.

Ein Einzelfall ist das nicht. Der Vermieterverband „Haus und Grund“ spricht für 2003 von 1,9 Milliarden Euro offenen Mietforderungen bundesweit – Tendenz steigend. „Vor allem bei jenen Fällen, in denen Mieter nicht zahlen wollen“, sagt Verbandssprecher Ludger Baumeister.

Einziehen, keine Miete zahlen, über Nacht ausziehen: Manche „Miettouristen“ oder „Mietnomaden“ wohnen so monatelang mietfrei. Vor allem in Städten mit hohem Leerstand. Also in Städten wie Berlin. „Es gibt für Miettourismus in der Stadt aber keine Statistiken, die dieses Phänomen seriös erfassen“, sagt Hans-Dieter Blümmel, Vorsitzender des Berliner Vermietervereins. Fachanwälte sind weniger vorsichtig. „Die Fälle in Berlin haben deutlich zugenommen, das merkt man auch ohne offizielle Statistik“, sagt der Wilmersdorfer Rechtsanwalt Kuno Maier. Kollegin Inka Witte, Mietrechts-Spezialistin in der Charlottenburger Kanzlei Schultz und Seldeneck, sieht es ähnlich. Bis zu 100 Fälle habe die Kanzlei 2004 betreut. „Auffällig ist der Anstieg bei Gewerbeimmobilien, besonders in City-Lagen um den Kurfürstendamm.“

Witte sagt, nur wenige Fälle seien auf Armut zurückzuführen. Auch die Kollegen in anderen Kanzleien berichten von Zwangsräumungen, bei denen Gerichtsvollzieher Fernseher, Videorekorder, Computer und teure Möbel vorfinden.

Ein extremer Fall hat die Kanzlei Schultz und Seldeneck jahrelang beschäftigt. Eine Villa in Grunewald stand zum Verkauf. 250 Quadratmeter, Seeblick. Wert: mehrere Millionen Euro. Ein Interessent erschien in edlem Anzug und mit teurem Wagen zur Besichtigung. Er sah so sehr nach Geld aus, dass er den Zuschlag erhielt – und für zwei Geschäftsräume in Charlottenburg gleich mit. Ohne einen Gehaltszettel vorzuzeigen. Pech für den Hausbesitzer: Der Käufer zahlte keinen Cent. Als der Besitzer die Rückgabe des Hauses forderte, zog der Mann alle Register. Er wohne schon in dem Haus, habe einen Mietvertrag mündlich abgesprochen und eine teure Renovierung vornehmen lassen. Auf die Klagen des Vermieters antwortete er mit Klagen: Mängel am Haus, Mängel in den Geschäftsräumen. Er bohrte Löcher in die Decken und reklamierte, in dem Gebäude lebten Ratten.

Vier Jahre dauerte es, bis der Besitzer den zähen Rechtsstreit gewann. So außergewöhnlich der Fall sein mag, er ist exemplarisch für eine Dunkelzone des Mietmarktes: für die betrügerische Fantasie, die zahlungsunwillige Mieter entwickeln; dafür, wie schwer es oft ist, juristisch gegen sie vorzugehen; wie viel Zeit und Geld ein Vermieter dabei verlieren kann. „Ein Jahr für solch ein Verfahren ist nichts“, sagt Rechtsanwalt Gunter Hildebrandt. Am härtesten treffe es oft private Vermieter, die eine Eigentumswohnung oder ein Haus als Altersvorsorge gekauft haben. „Ein Vermieter verliert etwa 50 000 Euro, bei Gewerbevermietungen das Doppelte“, schätzt Inka Witte.

Gewiefte Mietnomaden, so die Erfahrung der Anwälte, scheuen keine Gerichte, im Gegenteil. Sie kennen die Mieterrechte und nutzen sie aus. Und irgendwann bieten sie dem Vermieter an auszuziehen, wenn sie für ihre Mietschulden nicht belangt werden. Viele lassen sich darauf ein, um den Schaden zu begrenzen.

Einige Mietrechtler fordern Gesetzesänderungen zu Gunsten der Vermieter. Das lehnt Reiner Wild vom Mieterverein ab: „Es wäre falsch, das Recht zu verschärfen. Die derzeitigen Regelungen sind gut.“ Auch Vermieteranwalt Maier sagt: „Wer Lücken ausnutzen will, findet sie auch in neuen Gesetzen.“ Er schlägt vor, die Effizienz der Gerichte zu steigern.

Sein Mieter, das weiß Dietmar Heide jetzt, hat ihm gefälschte Gehaltsabrechnungen und Arbeitsbestätigungen vorgelegt. Der Fall liegt beim Landgericht. Heide wird wohl auf den Mietverlusten sitzen bleiben. Egal, ob seine Räumungsklage Erfolg hat oder der Mieter von selbst geht. Wie schon beim vorigen Vermieter. Auch der sah kein Geld. Eines Nachts verschwand Harborn, der da noch unter anderem Namen auftrat. Immerhin hatte er nicht, was häufiger vorkommt, zuvor die Wohnung verwüstet.

Marc Neller

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