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Berlin: Fischers Vergangenheit: Unter dem Berliner Pflaster lag einst der Strand

Joschka Fischer warf Steine. Dieter Kunzelmann hat lieber mit Eiern geworfen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Joschka Fischer warf Steine. Dieter Kunzelmann hat lieber mit Eiern geworfen. Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe bekam 1982, bei der Demo gegen Ausländerfeindlichkeit, eines ab. Den Berliner Regierungschef Eberhard Diepgen traf der Altkommunarde einst mit den Worten: "Frohe Ostern, du Weihnachtsmann!" Typisch Kunzelmann, aber es gab auch Aktivisten der Alternativen Liste (AL), dem Vorläufer der Grünen, die aus voller Überzeugung härtere Kaliber benutzten.

Das - der AL nahe stehende - Gewaltpozential entstammte großenteils der Hausbesetzerbewegung, die Anfang der achtziger Jahre auf die Straße ging. "Unter dem Pflaster liegt der Strand." Das wusste jeder Autonome, der Wurfgeschosse nicht mit sich herumschleppen, sondern allerorts verfügbar haben wollte. "Damals war die Luft dick, voller Steine", erinnert sich der Grünen-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Wieland. Ein Rechtsanwalt, den der CDU-Amtskollege Klaus Landowsky gern als Alt-Kommunisten beschimpft.

Nein; er habe sich niemals am Straßenpflaster vergriffen, versichert Wieland. Er hätte sich vom Parteifreund und Außenminister Fischer auch "mehr Selbstreflexion und Selbstkritik" gewünscht, als dieser im "Stern"-Interview über seine Vergangenheit als militanter Linker räsonierte. Zwar sei zuerst der Schlagstock da gewesen, und dann erst der Pflasterstein, sagt Wieland. Er meint die Straßenschlacht am 2. Juni 1967 beim Schahbesuch, als die Schupo ohne Rücksicht auf Verluste den Knüppel schwang und Benno Ohnesorg erschossen wurde. "Aber das kann nicht ernsthaft eine Rechtfertigung fürs nachfolgende Steinewerfen sein."

Positiv wird von den Berliner Grünen vermerkt, dass ihr Joschka - der nun selbst in der Wurflinie steht - seine Biographie nie verleugnete. Aber froh ist man auch nicht um den politischen Wirbel um den Minister. Man werde, so hieß es gestern, parteiintern darüber diskutieren. Eine neue Gewaltdebatte wird allerdings nicht vom Zaun gebrochen. So wie 1989, als der SPD-Wahlsieger Walter Momper vom künftigen Koalitionspartner AL die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols forderte. In einem "Essential-Papier" einigte man sich schließlich auf einen Formelkompromiss: "Nach der Rechtsordnung darf nur der Staat darüber entscheiden, wer zur Ausübung unmittelbaren Zwangs befugt ist." Gewalt müsse in allen gesellschaftlichen Bereichen zurückgedrängt werden. Ein gewisser Otto Schily äußerte sich in einem Taz-Interview damals zufrieden mit dieser Verabredung. Das seien doch schließlich Erkenntnisse, "die uns seit langem vertraut sind."

So lange nun auch wieder nicht. AL-intern war die Gewaltfrage erst 1987, als gegen den Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan protestiert wurde, weitgehend geklärt. Steine werfen: Nein. An Demonstrationen teilnehmen, auch wenn dort andere gewalttätig werden könnten: Ja. Eine Position, die im Grundsatz heute noch gilt. Anfang der achtziger Jahre sahen dies selbst Parlamentarier der Alternativen Liste wesentlich lockerer. So äußerte der Abgeordnete Manfred Rabatsch in einer Plenarsitzung Sympathien für Steinewerfer, was ihm bei der CDU den Spitznamen "Rabatz" einbrachte. Dabei gebe es in der AL doch keinen, meinte einst der hanfgeschädigte Kleinkünstler Wolfgang Neuss etwas naiv, "der auch nur Ohrfeigen austeilen könnte."

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