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Berlin: Fit für zwei

Frauen sind heute oft schon über 35, wenn sie ein Kind bekommen Kein Problem – wenn ihr Lebensstil stimmt

Berlin Prenzlauer Berg, Frühjahr 2007: Die schlanke junge Frau im eng anliegenden schwarzen Kleid trägt ihren Bauch selbstbewusst vor sich her. Ein paar graue Fäden durchziehen das dunkle, lockige Haar. Der Gang in den knallroten Ballerinas wirkt sportlich und keineswegs schwerfällig. Sie mag um die 40 sein, und sie erwartet ihr erstes Kind. „Wir Geburtsmediziner haben uns inzwischen abgewöhnt, von ,alten Erstgebärenden‘ oder ,Spätschwangerschaften‘ zu sprechen“, sagt Klaus Vetter, Leiter der Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln. „Das charakterisiert eine bewegliche 40-Jährige, die tanzt oder Yoga macht, einfach nicht zutreffend.“

Jede fünfte Frau ist heute in Deutschland über 35 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekommt. Noch vor 30 Jahren war es allenfalls eine von hundert. Längst passt die Mutterrolle nicht mehr so selbstverständlich in ein Frauenleben, und der Wunsch nach einem Kind stellt sich gerade bei den gut Ausgebildeten erst ein, wenn beruflich und privat einige wichtige andere Wünsche in Erfüllung gegangen sind. Andererseits ist da die Angst, wenn man mit über 35 schwanger wird: Einige zusätzliche vorgeburtliche Untersuchungen werden schließlich ab 35 vom Frauenarzt angeregt und von der Krankenkasse bezahlt, weil das Risiko mit dem Alter steigt, dass das Kind eine Chromosomenveränderung haben könnte. Aber auch wenn das eine Tatsache ist: Es lohnt sich, auf die Risiken zu schauen, die man selbst beeinflussen kann.

Denn mit 35 kann man, rein gesundheitlich gesehen, jung oder nicht mehr so jung sein. Eine Frau, die schlank und sportlich in die Schwangerschaft geht und während dieser neun Monate nicht über Gebühr zunimmt, hat zum Beispiel ein deutlich geringeres Risiko, einen Schwangerschaftsdiabetes zu bekommen. Eine große schwedische Studie hat im vorigen Jahr zeigen können, dass das nicht nur für das erste Baby, auch für weitere Schwangerschaften gilt: Je mehr eine der über 150 000 untersuchten Frauen zwischen zwei Schwangerschaften zugenommen hatte, desto größer wurde die Gefahr, dass während der neuen Schwangerschaft ein Diabetes auftrat. Fünf bis zehn Prozent der Schwangeren sind heute von dieser Entgleisung des Stoffwechsels betroffen. Ihre Babys werden größer und schwerer, weil das Bauchspeicheldrüsenhormon Insulin, das die Mütter vermehrt ausschütten, auch das Wachstum des Ungeborenen anregt. Das mittlere Geburtsgewicht der Babys, die termingerecht geboren werden, liegt heute bei 3800 bis 3900 Gramm, vor 30 Jahren lag es unter 3500 Gramm.

Zum Teil sind es hormonelle Faktoren, die den Schwangerschaftsdiabetes begünstigen, und auf die hat eine Frau keinen Einfluss. Aber in 85 Prozent der Fälle genüge eine Ernährungsumstellung, um die Blutzuckerwerte in den Griff zu kriegen, heißt es beim Berufsverband der Frauenärzte. Bei 15 Prozent der diabeteskranken Schwangeren muss aber Insulin gespritzt werden. Um festzustellen, ob der Blutzucker bei Schwangeren erhöht ist, wird der Urin heute regelmäßig auf Zucker kontrolliert. Die Frauenärzte fordern jedoch, dass bei jeder Schwangeren auch der wesentlich aussagekräftigere Glukosebelastungstest durchgeführt wird. Dafür muss man eine Zuckerlösung trinken, und eine beziehungsweise zwei Stunden später wird der Blutzucker gemessen.

Jeder weiß heute, dass eine Schwangere nicht „für zwei“ essen muss – jedenfalls nicht von der Menge her. Auf ausgewogene Ernährung muss sie trotzdem aus doppelter Verantwortung achten. Bei einem Vitamin reicht das jedoch nicht aus, und ausgerechnet diese Substanz wird schon in den ersten 28 Tagen nach der Empfängnis gebraucht: Mangel an Folsäure geht mit einem erhöhten Risiko für den „offenen Rücken“ einher, einer der häufigsten schweren angeborenen Fehlbildungen überhaupt. Das Neuralrohr, jenes kostbare Gebilde, aus dem sich Gehirn und Rückenmark herausbilden, verschließt sich hier nicht ordnungsgemäß. Um das Risiko für diese Fehlbildung zu verringern, ist Vorbeugung nötig. Das Vitamin wird zwar mit Eiern, Leber, Milch und grünem Blattgemüse aufgenommen. Doch hatten in einem deutschen Gesundheitssurvey vor einigen Jahren nur 13 Prozent der untersuchten jungen Frauen einen optimalen Blutwert, fast alle nahmen deutlich weniger als die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen täglichen 400 Mikrogramm mit dem Essen zu sich.

Es empfiehlt sich also, schon in der Zeit vor der Schwangerschaft Folsäure einzunehmen, und zwar 300 bis 400 Mikrogramm täglich. Für gut organisierte moderne Frauen, die ihr Wunschkind umsichtig planen, sollte es keine Schwierigkeit darstellen, auch den Kauf des Vitaminpräparats zum passenden Zeitpunkt in den Terminkalender aufzunehmen.

Adelheid Müller-Lissner

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