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Berlin: Fliegerbombe gesprengt Friedrichstraße lahm gelegt

Bauarbeiter fanden gefährlichen Blindgänger und ließen ihn einen Tag lang liegen

Von Jörn Hasselmann

und Werner Schmidt

60 Jahre lag die 250-Kilo-Bombe unentdeckt vor dem Bahnhof Friedrichstraße – so gefährlich wie an ihrem letzten Tag war sie nie. Am Mittwochvormittag fanden Arbeiter, die an der Georgenstraße einen Gully in der geplanten Grünanlage einsetzen wollten, die amerikanische Bombe – und räumten sie per Hand zehn Meter weiter, wo sie nicht mehr störte. Das weiße Pulver – TNT – beachteten sie nicht. Erst 26 Stunden später kam ein Vorarbeiter auf die Idee, die Polizei zu informieren – so lange lagen etwa 15 Kilogramm TNT-Sprengstoff offen vor dem Bahnhof. Als die Feuerwerker der Polizei eintrafen, entschieden sie sofort: Das Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg muss an Ort und Stelle gesprengt werden, denn der Zünder ließ sich nicht mehr herausdrehen. Die Umgebung wurde ab 13 Uhr nach und nach weiträumig abgesperrt, sämtliche Züge, U-Bahnen und Straßenbahnen wurden gestoppt; der Bahnhof, umliegende Häuser und Straßen geräumt, selbst der Schiffsverkehr auf der Spree eingestellt.

Dann schritt Bernd Nieter zur Tat. Über 100 große Bomben hat der 59-Jährige entschärft, doch nur ganz selten durch eine Sprengung. Und noch nie hat Nieter in einer derart zentralen Lage gearbeitet. „Das ist schon ein wenig Nervenkitzel“, gab er zu. Fachmann Nieter bezeichnete die Bombe als „Zerscheller“, sie muss im Krieg flach aufgeschlagen sein, der vordere Teil brach dabei ab. Gefunden wurde nur der hintere Teil der Fliegerbombe, mit dem völlig zerbeulten Zünder und etwa 15 Kilogramm Sprengstoff. „Das reicht, um in 20 Meter Umkreis alles zu verwüsten.“ Deshalb wurde mit einem Bagger ein Trichter gegraben und die Bombe dort mit Sand und Schutzmatten bedeckt.

Derart abgedämmt, blieb die Detonation um 15.08 Uhr dann ziemlich leise. Die Sprengung hatte sich kurz zuvor verzögert, weil aufmerksame Polizisten im achten Stock eines Bürogebäudes doch noch ein neugieriges Gesicht entdeckt hatten. Dabei waren die Häuser zuvor geräumt worden, alle Fenster mussten geöffnet werden, damit die Druckwelle möglichst wenig Schaden anrichten konnte. Etwa 200 Beamte des Bundesgrenzschutz und der Berliner Polizei waren im Einsatz. Selbst Feuerwerker Nieter hatte sich bei der ferngesteuerten Zündung 100 Meter entfernt in Deckung begeben.

De Ignoranz der Bauarbeiter, die die Bombe gefunden hatten, entsetzte Bernd Nieter: „Das hätte explodieren können.“ Und ein Kommissar des zuständigen Polizeiabschnitts fand, dass zumindest ein Bauleiter eine Bombe von einem kaputten Wasserrohr unterscheiden können müsse. „Das ist alles ein bisschen merkwürdig.“ Inoffizielles Fazit der Polizei: Der Druck am Bau, die Arbeit termingerecht zu erledigen, sei offenbar größer als die Angst vor einer Bombe.

Bauherren sind verpflichtet, alles zu tun, damit die Risiken durch Blindgänger möglichst gering bleiben. In so genannten „Verdachtsgebieten“ – und dazu gehört die gesamte Innenstadt – müssen sie das Areal vor Baubeginn nach Munition untersuchen lassen. Ob das in diesem Fall geschehen ist, konnte gestern nicht geklärt werden.

Experten schätzen, dass noch immer zwischen 1000 und 2000 Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg im Berliner Boden liegen. Je länger sie liegen, desto gefährlicher wird die Arbeit der Entschärfer, die Jahr für Jahr Tonnen an Granaten, Bomben und Munition entsorgen. Im September 1994 starben drei Arbeiter an der Pettenkofer Straße in Friedrichshain, als eine Fünf-Zentner-Bombe in einer Baugrube explodierte. Beim Bohren trafen die Arbeiter damals den Zünder der tief im Erdreich verborgenen amerikanischen Bombe.

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