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Es ist wahrscheinlich Deutschlands bekannteste Asylbewerberunterkunft - das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf.

© dpa/picture alliance

Asylbewerber in Berlin-Hellersdorf: Flucht in den Alltag

Nach den turbulenten Wochen ist es friedlich im Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf. Die Bettwäsche ist blütenweiß, die Kinder spielen. Ein Besuch in Deutschlands wohl bekanntester Asylbewerberunterkunft.

Es ist erstaunlich still an diesem Freitag, dafür, dass auf diesen drei Etagen 211 Frauen, Männer und Kinder wohnen. „Von den Kleinen sind viele in der Schule“, sagt Martina Wohlrabe. Wer rein- und rausgeht, bleibt ihr meist nicht verborgen, schon aus Sicherheitsgründen: Martina Wohlrabe leitet das wohl bekannteste Flüchtlingsheim des Landes. Willkommen in der Carola-Neher-Straße in Hellersdorf. Zum ersten Mal wird Presse ins Haus gelassen – nach der Aufregung der vergangenen Wochen.

Die Bilder der NPD gingen um die Welt

Einst tobten 1000 Schüler durch die Gänge des Max-Reinhardt-Gymnasiums. Mangels Nachwuchses wurde die Schule vor acht Jahren geschlossen, seitdem stand das Gebäude leer. Bis im August die ersten Flüchtlinge einzogen: Familien aus Syrien, Afghanistan und Serbien. Sofort versammelten sich Gegner des Heims und seiner Bewohner vor der Tür, tagelang fuhr die Polizei in Hellersdorf zu Großeinsätzen, Bilder von schreienden NPD-Männern gingen um die Welt.

Hellersdorf wurde zum neuen Synonym für Fremdenhass, auch wenn sich im Stadtteil sofort Helfer fanden, die Spielzeug spendeten und Mahnwachen abhielten. Die Jüdische Gemeinde hat kürzlich ein Kinderzimmer ausgestattet, in der Initiative „Hellersdorf hilft“ engagieren sich ehemalige Schüler des Gymnasiums. Solidaritätsbriefe aus ganz Deutschland kamen in der Carola-Neher-Straße an.

An diesem Freitag steht Sozialsenator Mario Czaja (CDU) im Foyer des Heimes. Inzwischen leben Bewohner aus 18 Nationen mit 64 Kindern in den früheren Klassenräumen. Czajas Mitarbeiter haben für eine Tischtennisplatte zusammengelegt, ein Laden hat dazu Kellen gesponsort. Der Senator zieht das Jackett aus und fordert zwei Knirpse zum Spielen auf. Die schlagen sich wacker, Czaja ist aber auch nicht schlecht.

Die beiden Jungen – Antonello, zehn Jahre, und Tarek, vier – kommen aus Bosnien. Aus dem Vielvölkerstaat fliehen immer wieder Angehörige der schwächsten Minderheit: der Roma. Der Vater der beiden, Salko Bariz, 32 Jahre alt, lächelt höflich. Schüchtern schaut er seinen Jungen beim Tischtennis zu, vorsichtig, wie die Bewohner vieler Heime in der ihnen unbekannten Stadt. „Danke“, versucht es Bariz auf Deutsch.

Familie Kapoor ist aus Afghanistan nach Hellersdorf gekommen

Schüchtern steht der 30-jährige Viney Kapoor im Flur, auf dem Arm seine Tochter Siona, fast noch ein Baby. Mutter Sohi, 23 Jahre, lächelt. Die Familie aus dem Osten Afghanistans gehörte dort der Minderheit der Hindus an, die unter den Taliban zu leiden haben.

Spielend begegnen. Die Mitarbeiter von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) haben die Tischtennisplatte gespendet, hier spielt Berlin gegen Bosnien.
Spielend begegnen. Die Mitarbeiter von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) haben die Tischtennisplatte gespendet, hier spielt Berlin gegen Bosnien.

© Spiekermann-Klaas

In ihrem Zuhause auf Zeit hat sich zuletzt viel getan, Handwerker haben Zwischenwände in der alten Schule hochgezogen, entlang der Flure gehen Zimmer ab. Aus einem Klassenraum wurden drei Wohnräume, meist 20 Quadratmeter groß. Die Wände sind frisch gestrichen, die Betten neu, die Wäsche blütenweiß. In den meisten Zimmern wohnt je eine Familie, die Bewohner kommen miteinander klar.

Das Heim in Hellersdorf ist immer noch eine Notunterkunft

Die Mitarbeiter des Betreibers, das Sozialunternehmen PeWoBe, und des zuständigen Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) geben sich viel Mühe. Dennoch lässt sich nur schwer verbergen, was das Heim dem Namen nach ist: eine Notunterkunft.

Familie Kapoor aus Afghanistan freut sich, im Flüchtlingsheim in Hellersdorf ein Zuhause auf Zeit gefunden zu haben. Die drei sind Hindus - eine winzige Minderheit im islamischen Afghanistan.
Familie Kapoor aus Afghanistan freut sich, im Flüchtlingsheim in Hellersdorf ein Zuhause auf Zeit gefunden zu haben. Die drei sind Hindus - eine winzige Minderheit im islamischen Afghanistan.

© Spiekermann-Klaas

Solche Unterkünfte sollen Obdachlosigkeit verhindern und sind oft spärlich ausgestattet. Der Umbau der leeren Schulen, Ämter oder Kliniken wird im jeweiligen Kiez nur Tage oder Wochen vorher angekündigt. Auch das könnte zu den wütenden Protesten in Hellersdorf beigetragen haben. Noch in diesem Jahr soll das zweite leere Gebäude der einstigen Schule renoviert werden, die Hellersdorfer Unterkunft hat dann Platz für insgesamt 400 Menschen.

Zwei weitere Heime werden dieses Jahr in Berlin öffnen

Fast 7150 Flüchtlinge haben Berlin seit 2012 erreicht, davon leben rund 300 in Wohnungen, die 6800 Plätze in den Heimen sind restlos belegt. Und es kommen mehr – der Krieg in Syrien, die Kämpfe in Tschetschenien, die Diskriminierung der Roma auf dem Balkan... Bis Jahresende werden neue Heime eröffnet, eines in der Mühlenstraße in Pankow, ein weiteres in Treptow-Köpenick, wobei es in diesem Fall noch keinen Vertrag über Grundstück und Betreiber gibt.

Das alte Max-Reinhardt-Gymnasium in Berlin-Hellersdorf. In den nächsten Monaten wird die Notunterkunft für Flüchtlinge ausgebaut.
Das alte Max-Reinhardt-Gymnasium in Berlin-Hellersdorf. In den nächsten Monaten wird die Notunterkunft für Flüchtlinge ausgebaut.

© Spiekermann-Klaas

Die Heime werden von Sozialverbänden und Unternehmen betrieben und vom Lageso bezahlt. Die Mitarbeiter des Amtes arbeiten seit Monaten unter Hochdruck. Immerhin, noch sind es 90 Mitarbeiter im Lageso, ab nächstem Jahr sollen es zehn Kollegen mehr werden.

Bleibt es ruhig?

Im Heim wird ganz pragmatisch geholfen. Am 5. Oktober gibt es einen Basar, jeder Bewohner zieht ein Los, für jedes Los ist etwas aus Spenden besorgt worden: Geräte, Geschirr, Praktisches. Heimleiterin Wohlrabe freut sich, wohl weil die Flüchtlinge sich freuen werden. Bleibt es ruhig? Um die Ecke steht ein Mittelklassewagen auf einem Parkplatz. Wer genau hinsieht, bemerkt zwei Männer mit Sonnenbrillen und Windjacken. Zivilpolizisten, die aufpassen sollen, dass niemand die Flüchtlinge angreift.

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