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Kalte Krallen. Zahlreiche Kraniche halten es trotz Kälte in Brandenburg aus. Eigentlich sollten sie im Süden sein. Foto: dapd/Michael Urban

© dapd

Berlin: Flucht in den Westen

Tausende Vögel aus dem Osten suchen die letzten offenen Wasserstellen an der Elbe. Brandenburger Kraniche zeigen sich standhaft.

Rühstädt/Criewen – Es kracht und klingelt in diesen Tagen am Zusammenfluss von Elbe und Havel in der Nähe des bekannten Storchendorfes Rühstädt. Während die lauten Geräusche beim Zusammenprall der Eisschollen entstehen, stammen die feineren Töne von Tausenden Singschwänen, Saat- und Blessgänsen sowie Zwergschwänen. Sie bieten den Spaziergängern auf den Deichen rund 150 Kilometer nordwestlich Berlins ein winterliches Naturschauspiel. Denn während die Elbe hier fast gänzlich unter einer weißen Decke verschwunden ist, hält der Eisbrecher „Otter“ die letzten Kilometer der Havel vor der Mündung noch offen. Das Wasser kann unter dem Eis in Richtung Hamburg abfließen.

Die offenen Wasserstellen an der Mündung in Höhe Gnevsdorf und an weiteren Stellen mit besonders starker Strömung sind offensichtlich bekannt in der Vogelwelt. Am rund 90 Kilometer langen Brandenburger Elbeabschnitt halten sich nach Auskunft von Naturwächtern rund 20 000 Wasservögel auf, darunter mehr als 2000 Singschwäne und fast 150 Zwergschwäne. Vor Beginn der Frostperiode waren es nur einige Hundert. „Da sind bestimmt zahlreiche Exemplare aus unserer Region dabei“, sagt Tina Gutowski vom Nationalpark Unteres Odertal. „Bei uns gibt es kaum noch offene Wasserflächen.“ Dennoch finden die traditionellen Singschwantage noch bis Sonntag in Criewen mit Vorträgen und Exkursionen statt. „Wir können die Gäste zu einigen verborgenen Stellen führen, wo garantiert der beliebte Schwanengesang zu vernehmen ist“, verspricht sie.

Die Fluchtbewegung nach Westen hat einen einfachen Grund. „Die Schwäne brauchen für ihren Schlaf das offene Wasser, um sich hier vor Feinden wie dem Fuchs zu schützen“, erklärt Professor Matthias Freude, Chef des Brandenburger Landesumweltamtes. „Außerdem können sie sich nur durch den Anlauf im offenen Gewässer in die Lüfte erheben.“ Viele Tiere seien daher in den letzten Tagen aus Skandinavien, dem Baltikum und Russland an der Elbe eingetroffen. „Schon daran kann man sehen, wie schwierig das Überleben unter den dort herrschenden Frostbedingungen geworden ist“, sagt Freude. Falls auch die Elbe und Havel gänzlich zufrieren sollten, stehe das nächste Reiseziel der Singschwäne schon fest: der Niederrhein.

An Futter mangelt es den Vögeln bisher nicht. Auf den Rapsfeldern finden die Schwäne immer noch genügend Nahrung. So kommt es, dass im nördlichen Berliner Umland derzeit zwischen 650 und 1000 Kraniche rund um Linum überwintern. Die Vögel müssten wie Zehntausende Artgenossen längst im warmen Süden sein. Auch sie übernachten sonst im knietiefen Wasser, das jetzt natürlich im Havelland nirgendwo mehr zu finden ist. „Ich glaube, die fühlen sich in einer so großen Kolonie auch ohne Wasser sicher“, sagt Freude. „Gemeinsam würden sie vielleicht tatsächlich jeden Angreifer zurückweisen.“ Die Überwinterung habe mehrere Vorteile für die Tiere: Sie sparen die Energie für den Flug nach Süden und können sich im Frühjahr als erste die besten Brutreviere aussuchen. Sobald aber der Schnee höher werde, sei es mit dem Kranichabenteuer vorbei.

Aber Berlin, Potsdam und andere Städte bieten derzeit einige ungewöhnliche Tiererlebnisse. So hat es viele knallbunte Seidenschwänze aus dem bitterkalten Russland in die etwas wärmeren Regionen gezogen. Die Vögel sind in vielen Stadtparks und Kleingärten zu beobachten. Lauter machen sich die Saatkrähen bemerkbar. Deren Bestand hat sich vor allem durch die Schließung offener Müllkippen im Berliner Umland von ehemals 80 000 vor etwa zehn Jahren auf nunmehr einige Tausend Exemplare reduziert. Doch diese streiten sich oft lautstark ums Futter oder ums Revier, etwa im Berliner Nikolaiviertel. Ganz in der Nähe strampeln sich derweil Blesshühner ab: Durch Bewegung verhindern sie, dass das Wasser an Mühlendamm und Museumsinsel zufriert.

Infos zu den Singschwantagen: www.unteres-odertal.de

 Claus-Dieter Steyer

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