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Eine Schneise der Besiedlung. Der vordere Teil des jetzigen Tegeler Flughafengeländes soll für den Wohnungsbau genutzt werden. Das Ganze soll nicht nur der Ausrichtung der Olympischen Spiele dienen, sondern auch den Wohnungsmarkt entlasten.

© Simulation: Senat

Berlin-Bewerbung um die Spiele 2024 und 2028: Flughafen Tegel: Erst Olympisches Dorf, dann Wohnviertel

Die Stadt hat viel vor mit dem Flughafen Tegel. Das Olympiadorf mit 5000 Wohnungen soll hier nach der Schließung des Airports entstehen. Und wenn’s nicht klappt mit den Spielen? Auch dann ist in Tegel eine große Wohnsiedlung geplant - aber anders.

Eine Milliarde Euro soll das Olympiadorf kosten, Straßen und Brücken, Stromleitungen und Wasserversorgung – also die ganze „Infrastruktur“ kommt noch obendrauf. Aber dafür soll das Viertel am östlichen Rand des Tegeler Flugfeldes gleich mehrere Probleme lösen: Wohnraum zu günstigen Mieten nach den Spielen schaffen und dabei helfen, die hochgesteckten Neubauziele des Senats zu erreichen. Zudem soll modernste Bautechnik eingesetzt werden bei Berlins größtem Siedlungsbau seit mehr als zehn Jahren.

Simulationen des künftigen Wohnquartieres gibt es schon

Zauberhafte Simulationen des Siedlungsplans im grünen Reinickendorf gibt es schon: in der Broschüre des Senats für die Olympiabewerbung. Zum allerneuesten Stand der Planung schweigt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stille – man verweist auf „einen Termin“ mit dem Senator. Der für das Vorhaben zuständige Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup hatte vor einigen Monaten auf Anfrage nur so geschwärmt von einem „Stadtquartier der Zukunft“, mit dem Berlin „die Welt begeistern kann“. Das Olympiadorf werde die Energie selbst erzeugen, die Heizung, Fernseher, Leuchten und sogar die Elektroautos ihrer Bewohner verbrauchen.

Der Wille zu begeistern war deutlich herauszuhören, die Realität dürfte allerdings weniger glanzvoll sein. Genau genommen gibt es zwei Strategien für den Wohnungsbau auf dem Airport nach dem Ende des Flugbetriebs – falls der neue Großflughafen BER irgendwann fertig werden sollte. Das erste Planspiel setzt eine erfolgreiche Olympiabewerbung voraus, das zweite tritt ein beim Scheitern derselben. Sollte Berlin die Olympischen und Paralympischen Spiele bekommen, werden die Planerfantasien wirklich und es entsteht eine Modellsiedlung. Falls Berlin scheitert an der Städtekonkurrenz, kommt die Sozialsiedlung light: Eher günstige Wohnungen, gerne auch für Studenten – denn an den Kurt-Schumacher-Damm zieht hin, wer muss, weil er woanders Wohnen nicht zahlen kann.

„Ein Teil der Wohnungen könnten wir Nutzern der Urban-Tech-Republic anbieten“, sagt Philipp Bouteiller, Chef der „Tegel Projekt“. Die landeseigene Firma, die das Gelände unter diesem Namen vermarktet, arbeitet an Plänen für die Zeit nach dem Flugbetrieb. Dann sollen die Beuth-Hochschule, die Feuerwehrakademie sowie Forscher der Abfall- oder eben der Bauwirtschaft an den früheren Terminals andocken und ihre Laptops und Labore öffnen. Dafür gibt es bereits eine Strategie. Für die 5000 Wohnungen am Rande des geplanten Industriegebietes dagegen existiert bisher nur eine „Machbarkeitsstudie“ – und machbar ist der Siedlungsbau, so viel steht fest. 

Was spricht gegen ein Olympiadorf?

Billig wird das Projekt allerdings nur ohne vorolympische Nutzung. Denn dann müssen die provisorischen Tribünen – geplant sind temporäre Wettkampfstätten für Springreiten und Fechten – nicht erst gebaut und später wieder demontiert werden, die Empfangshalle und die Klinik für die Olympioniken müssen nicht zu Schule und Kitas umgebaut werden. Vor allem würden dann die 5000 Wohnungen in Abschnitten je nach Bedarf gebaut – und sie müssten nicht auf einen Schlag für Olympia hingestellt und danach alle gleichzeitig auf den Markt geworfen werden. Ein so großes Angebot in nicht unbedingt bester Lage, das drückt die Preise, weiß man in der Immobilienbranche.

Alle Häuser müssten noch mal verändert werden

Auch an den Häusern der neuen Siedlung müsste nach den Spielen noch einmal Hand angelegt werden. Weil für die Athleten überwiegend kleine Wohnungen entstehen – ein bis drei Zimmer, 76 Quadratmeter im Durchschnitt –, müssten einige später zu größeren zusammengelegt werden, damit auch Familien auf das frühere Flugfeld ziehen. Schließlich will der Senat auch in dieser Siedlung die berlintypische „soziale Mischung“ schaffen: Studenten und Rentner, Familien und Singles, Haushalte mit viel Einkommen sowie Sozialhilfeempfänger sind Nachbarn.

Um nacholympische Umbauten zu vereinfachen, sollen die fünf Geschosse hohen, auch behindertengerechten Häuser als „Baukastensystem“ entstehen. Das klingt nach dünnen Rigips-Wänden und hellhörigen Buden aus den 1950er Jahren. Dabei manövrierte sich schon London mit niedrigen Standards ins Aus. Für die Spiele 2012 sollte eine private Firma das Olympiadorf bauen und die Wohnungen später mit Gewinn verkaufen. Doch die Firma scheiterte schon an der Finanzierung. Die Stadt musste einspringen, und der Steuerzahler blieb auf Verlusten von 275 Millionen Pfund sitzen. Und die Wohnungen? Sie boten wenig Komfort: Spartanisch eingerichtete Zimmer, dünne Wände, kleine Aufenthaltsbereiche, beklagten Athleten aus russischen und deutschen Olympiateams gleichermaßen – der Standard deutscher Jugendherbergen sei besser.

Was spricht für die olympische Vornutzung der künftigen Siedlung?

Vorteile hat eine Olympia-Vornutzung allerdings auch: Die Siedlung müsste mehr hermachen als der berlinübliche Wohnungsbau. Dazu dürfte etwa die geplante Fußgängerbrücke, die den U-Bahnhof Scharnweberstraße mit dem „Olympischen Boulevard“ über (gefühlt) sieben Kreuzungen hinweg verbinden wird, hübsch werden. Dafür müsste das Land so manchen Euro extra einsetzen. Dasselbe gilt für das Budget des Siedlungsbaus. Und weil Bilder aus dem Olympiadorf rund um die Welt gehen, rechnen die Planer fest mit einer viel größeren Beteiligung bedeutsamerer Baumeister an den Wettbewerben für den Bau: Denn ein markantes Gebäude kann dessen Architekten schlagartig berühmt machen oder Ruhm mehren.

Weil aber ohnehin gebaut wird und die Wohnungsnot in der Stadt groß ist, soll noch in diesem Jahr eine „Arbeitsgemeinschaft von landeseigenen und privaten Wohnungsbaugesellschaften gegründet werden“. Diese soll – gemeinsam mit dem Land – Ideen, Bedenken und Vorschläge von Berlinern sammeln und abwägen, damit diese in den Städtebaulichen Wettbewerb zur Gestaltung und Aufteilung der heutigen Brache einfließen. Das alles soll zügig ablaufen, denn bereits im kommenden Jahr will der Senat Ergebnisse sehen, die im Jahr 2017 in verbindliche Planung gegossen werden. Ein weiteres Jahr später könnten dann bereits die Bagger anrollen, den Boden bereiten, Straßen anlegen und Rohre verlegen.

Ob die Berliner nach deren Fertigstellung die Häuser wie im 19. Jahrhundert die Neubauten „trockenwohnen“ müssen, damit sich die späteren Besitzer – in diesem Fall: Athleten – auch ja keinen Schnupfen holen? Diese Frage drängt sich auf, denn auch wenn die Spiele erst 2028 stattfinden würden, sollen die „erforderlichen Gebäude ab dem Jahr 2020 errichtet werden, heißt es in der Bewerbungsbroschüre. Acht Jahre vorher!

Oder hat der großzügige Zeitplan einen anderen Grund? Schließlich wird in Tegel ja so lange geflogen, bis ein gewisser anderer Flughafen endlich betriebsbereit ist.

Lesen Sie mehr, I.: Ein Olympiadorf in Berlin gab es bisher nur einmal - zu den Spielen 1936. Für das später erhoffte Olympia 2000 an der Spree wurden zwar schon konkrete Planung für eine Sportlersiedlung erstellt. Aber aus diesen ist ja dann nichts geworden. Wir schauen zurück auf Olympia 1936 und Olympia 2000, siehe Artikel: "Unser Dorf sollte schöner werden."

Lesen Sie mehr, II. Wo könnten die Olympische Spiele stattfinden? Wir zeigen Ihnen, welche Orte in der Olympiaplanung eine Rolle spielen - in Berlin und auch außerhalb Berlins.

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