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Berlin: "Forum Einheit": Die Sozialdemokraten zeigen sich gegenseitig ihre Stadt

Zehn Jahre nach der Einheit ist für viele Berliner der Osten beziehungsweise der Westen immer noch eine Art weißer Fleck auf dem Stadtatlas. Das gab es schon vor hundert Jahren.

Zehn Jahre nach der Einheit ist für viele Berliner der Osten beziehungsweise der Westen immer noch eine Art weißer Fleck auf dem Stadtatlas. Das gab es schon vor hundert Jahren. Aber anno dunnemals hatte es mit den sozialen Unterschieden zu tun, dass die feinen Leute des "Berliner Westens" ihren Fuß allenfalls bis zum Alex setzten und sich die kleinen Leute von Friedrichshain oder Wedding höchstens zum Zoo-Besuch in den Westen trauten. Heute sind es die mentalen Unterschiede, die Grenzen setzen. Man kennt das aus der Berufswelt, der Sport- und Kulturwelt. So hat die Philharmonie ihr West-Publikum, das Schauspielhaus sein Ost-Publikum. Die Capitals wollen nicht in Hohenschönhausen Eishockey spielen.

Das Gesamtberlinische will nun die SPD mit ihrem "Forum Einheit" fördern. Wieso hat sie diese Arbeitsgemeinschaft erst nach der Wahl vor einem Jahr ins Leben gerufen? Weil sie anders als 1990 und 1995 im Osten besonders schlecht abgeschnitten hat. Bis dahin meinte sie, es gehe gar nicht mehr um Ost und West, sondern um "oben und unten", das soziale Gefälle also. Das wurde als Irrtum erkannt. "Wir haben zu wenig über das Emotionale geredet", findet Senatorin Gabriele Schöttler (Ost), die das Forum zusammen mit dem früheren Abgeordneten Rudi Kujath (West) leitet.

Es ist ein Phänomen: Die Veranstaltungen des Forums haben verblüffend großen Zulauf. Jetzt sind offenbar Stadtspaziergänge der Hit. Mehr als 100 Anmeldungen wurden in der Parteizentrale für den ersten Spaziergang am Sonnabend registriert, darunter allerdings viele Neuberliner. Der Genosse Senatsbaudirektor Hans Stimmann will Genossen und deren Begleitern das historische Zentrum zwischen Gendarmenmarkt und Schlossplatz zeigen. Am 16. September macht Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den Bärenführer durch "seinen" Prenzlauer Berg. Es soll Westler geben, die keine Vorstellung vom Kollwitzplatz haben. Bausenator und Parteichef Peter Strieder will das Olympia-Stadion zeigen - Ost-Genossen natürlich. "Vielen ist der jeweils andere Stadtteil einfach fremd", weiß Fraktionsgeschäftsführerin Petra Merkel (West).

Zwei Diskussionsveranstaltungen haben bisher stattgefunden. Mit Regine Hildebrandt über unterschiedliche Befindlichkeiten und mit Joachim Gauck in dessen Behörde über Stasi-Geschichten. Die Säle waren jeweils prallvoll.

Ist das "Forum Einheit" nur für das Innenleben der SPD gut? Programmatisch Kreatives hat man jedenfalls bisher nicht gehört. "Das entwickelt sich", sagt Frau Schöttler: "Wir werden auch politische Fragen aufgreifen, wir sind ein kleines Puzzle im großen Programm." Dem Lichtenberger Stadtrat Andreas Geisel fällt spontan ein politisches Beispiel für Hemmschwellen ein. Es wurmt ihn, dass aus dem "Gerichtsgarten" aus Arbeits-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit in Rummelsburg nichts wird; das Arbeits- und das Verwaltungsgericht wollen nicht umziehen - von West nach Ost.

Natürlich will die SPD mit ihren Aktivitäten erreichen, was sich jede Partei wünscht: möglichst viele Wähler in beiden Teilen der Stadt im Jahr 2004. Das Wahlverhalten klaffte am 10. Oktober 1999 bei allen mehr oder weniger stark auseinander, auch ein Zeichen für sperrige Mauer-Reste in den Köpfen und Seelen: CDU 40,8 Prozent (West 49,3, Ost 26,9 Prozent); SPD 22,4 Prozent (West 25,2, Ost 17,8 Prozent); PDS 17,7 Prozent (West 4,2 Prozent, Ost 39,5); Grüne 9,9 Prozent (West 12,1, Ost 6,5 Prozent). Da ist noch einiges zu tun, wenn man eine Gesamtberliner Partei sein will.

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