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Berlin: Frieda Larisch (Geb. 1913)

„Wer weiß, wofür es gut ist.“

Das Nachsinnen beschädigt die Zuversicht. In Friedas Familie kursierte ein Spruch, der jeden Ansatz von Reue, Nostalgie und Wehmut im Keim erstickt. Ein Spruch, der vieles erleichtert, was nicht mehr zu ändern ist: „Wer weiß, wofür es gut ist.“

Doch eine Sache gab es, die möglicherweise ein Fehler war. Aus Sicht der Nachgeborenen. Anfang der fünfziger Jahre beschlossen Frieda und ihr Mann, ihre Hamburger Wohnung, die sie noch vor dem Krieg bezogen hatten, aufzugeben und in Naumburg an der Saale zu bleiben. Als viele in den Westen gingen, blieben sie im Osten. „Wer weiß, wofür es gut ist.“

Fünf Schwestern waren sie, Frieda als fünfte, dann kam noch eine sechste, eine Nachzüglerin, auf die Frieda zuerst recht böse war, weil sie nun nicht mehr das Nesthäkchen war. Immerhin nach Zentimetern blieb Frieda die Kleinste.

In Großkayna, einem Dorf bei Merseburg, waren die Schwestern eine Attraktion. Das war in den dreißiger Jahren, als viele dachten, Deutschland sei das Land der Zukunft. Die Schwestern schnitten sich die Haare ab, schneiderten einander modische Kleider und gingen jedes Wochenende tanzen. Frieda hatte die besten Schulnoten. Ihr Lehrer fand, sie sollte aufs Gymnasium und Lehrerin werden. Ihr Vater war anderer Ansicht.

Frieda dachte insgeheim, sie sei fürs Schauspielfach geboren. Sie bekam immer die Hauptrollen im Schultheater. Einmal spielte sie die Ehefrau Luthers, und das ganze Dorf war hingerissen. Den Wunsch einer Bühnenkarriere auch nur anzudeuten, hätte jedoch den Familienfrieden nachhaltig gestört. Also vertrieb Frieda solche Gedanken. Zur Rebellin war sie nicht geboren.

Die volle Unterstützung der Familie fand die Heirat. Frieda hatte sich in einen Unteroffizier verliebt. Auf dem Hochzeitsfoto trägt er Gardeuniform mit Säbel, sie ein weißes Kleid, Handschuhe bis zum Ellbogen, geflochtene Blumenkränze im Haar und einen Schleier.

Frieda hatte noch mehr Talente, eines davon fürs Geschäftliche. Sie arbeitete gern im Kolonialwarenladen des Vaters. Viel später, nach dem Krieg, übernahm sie mit einer älteren Schwester einen Laden für Schreibwaren und religiöse Schriften in Naumburg. Auch dort zeigte Frieda ihren Sinn für den Geist der Zeit: Neben der Bibel und Schulheften gab es bald Feuerwerkskörper, Kunstblumen, Scherzartikel und Kostüme. In einer Ecke gab es einen Stuhl für Kunden zum Herzausschütten. Der war immer besetzt.

Die Larischs brauchten ein Auto, Frieda rechnete die Sache durch und gab grünes Licht. Ihr Mann organisierte einen Gebrauchtwagen, einen grasgrünen DKW.

Auch das Fernsehen kam früher zu den Larischs als zu den meisten anderen in Naumburg. In ihrer Wohnstube trafen sich Nachbarn und Freunde zum Westfernsehen. Frieda war ja interessiert an den Neuerungen in der Welt.

Aber vor allem anderen interessierte sie die Familie, und dass es allen gut geht. Sie schenkte gerne; für ihre Kinder gab es immer viele Pakete, erst die kleinen, und wenn man dachte, das war’s dann wohl, sagte sie: „Ach, ich hab’ da ja noch was“, und rückte mit dem Hauptpräsent heraus. Selbst beschenkt zu werden, fand sie dagegen peinlich.

Frieda verließ Naumburg nach 35 Jahren. Ihr Mann war gestorben, die Schwester weggezogen, der Laden aufgegeben. Frieda ging nach Berlin, zu ihren Kindern, ohne Tränen der Wehmut. In der großen Stadt durchforstete sie die Tagespresse nach aktuellen Terminen und machte sich auf den Weg. Zur Eröffnung des neuen Einkaufszentrums, zur Grünen Woche, zur Autogrammstunde mit Harald Juhnke und zur Queen aus England ans Brandenburger Tor.

Sie trennte sich im Guten von Dingen, die sie nicht mehr brauchte. Möbel, Geschirr, Bücher, Kleider. Alles wegschenken. Ihre Finanzlage war tadellos, bis zuletzt, obwohl sie doch schon sehr vergesslich geworden war. Frieda konnte mit ruhigem Gewissen einschlafen. Thomas Loy

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