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Bewegung hält fit. Das Denkmal für Friedrich Ludwig Jahn in der Neuköllner Hasenheide wurde vor einiger Zeit saniert.

© dpa

Umbenennung der Turnvater-Jahn-Grundschule: Frisch! Fromm! Fröhlich! Frei!

Geschichtsschreibung in Prenzlauer Berg: Turnvater Jahn gilt als ungeeigneter Schul-Namenspatron. Ein Bierkaiser schlägt ihn aus dem Rennen. Meinungsfrohe Annäherung an die Umbenennungs-Obsession.

Der Bengel ist zwar Pastorensohn, hält aber nichts von Bildungsstress. Vater bringt ihm Latein bei, Mutter das Lesen. Das steinzeitalte Runddorf in der Prignitz, wo er aufwächst, ist sein Tobeparadies. Als er mit 14 erstmals in Salzwedel die Schulbank drückt, fängt der Stunk an. Wie Bolle ist er zu jeder Keilerei aufgelegt, steht fast täglich im Klassenbuch. Schafft, trotz zahlreicher Anstaltswechsel, keinen Abschluss; erst recht nicht im Berliner Grauen Kloster, der letzten Station. An diversen Unis, an denen er ohne Abi irgendwie Theologie treibt, geht das sieben Jahre lang ähnlich weiter: Examenschwänzen, Ärger mit Profs. Als ihm, nach Hilfslehrerjobs, in Königsberg ein Oberlehrerposten winkt, vergeigt er es wieder: Prüfungsangst! Zwischendurch versteckt er sich, unter Umsturzverdacht, in einer Höhle an der Saale.

Der langbärtige Paukerschreck wird als störend empfunden

Ruhm erwirbt sich Friedrich Ludwig Jahn als Fitness-Guru und Inspirator einer Bewegung, die den aufrechten Gang und patriotischen Schulterschluss gegen napoleonische Besatzer und Basis-Solidarität gegen autokratische Kleinstaaterei propagiert sowie athletische Kondition: ein paramilitärisches Gesamtpaket des bürgerlichen Selbstbewusstseins. Er mobilisiert dafür rebellischerweise zwischen 1814 und 1817 – „Frisch! Fromm! Fröhlich! Frei!“ – 12 000 Sportsfreunde in 150 Vereinen. Das wird verboten, denn Europas Regenten stellen die politischen Uhren ins Gestern zurück. Sechs Jahre Haft, 15 Jahre unter Polizeiaufsicht sind die Folge – Amnestie erst 1840! Als Namenspatron in Prenzlauer Berg muss so ein langbärtiger Paukerschreck, dessen antiautoritäre Manie jede Trainingsdisziplin untergräbt, stören. Er entspreche „nicht dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Berliner Schule“ heißt es an der dortigen Turnvater-Jahn-Grundschule. Deshalb hätten Lehrer mit Eltern und Schülern „in einem demokratischen Prozess … die Umbenennung auf den Weg gebracht.“

"Mit großer Freude" wird nun Bierhändler Bötzow avisiert

Als neuer, den Erziehungsauftrag fördernder Patron, dessen Namensübernahme am 20. März die Schulgemeinde „mit großer Freude“ erwartet, ist der Bierhändler Bötzow avisiert. Vermutlich nicht Hermann Bötzow, der als NSDAP-Mitglied mit Verwandten und Geschäftspartnern brach, die Nichtarier beschäftigten, da er und seine Frau dem NS-Regime zugetan waren und im April 1945 Selbstmord begingen. Wohl eher ist Hermanns Vater gemeint, der Gründer-Bötzow: Nach ihm sind Berlins ehemals größte Privatbrauerei mit 6000 Biergarten-Plätzen, die Straße, der Kiez benannt. Geboren wird Julius Albert Bötzow 1839; Bierfabrik Nummer 1 eröffnet er 1864 an der Alten Schönhauser Allee, 1885 die Bötzow Brauerei auf dem Windmühlen (Prenzlauer) Berg. Er bezieht 1900 sein „Schloss im Norden“ an der Prenzlauer Allee, ist mit 210 000 untergärigen Hektolitern Jahresausstoß Hopfengoldkaiser von der Panke. 1919, fünf Jahre nach seinem Tod, tagt auf dem umkämpften Konzerngelände Liebknechts Revolutionsausschuss – da drehte sich der Hoflieferant Julius vermutlich im Grabe um. Seit 2010 liegt nun für den Riesenkomplex ein Investitionskonzept von Hans Georg Näder, Chef der Ottobock-Prothetik-Firma vor. Bötzow – der Kiez im Kommen? Bei ihrem Ja zur Bötzow-Schule hatten Bezirksbürgermeister Matthias Köhne und Stadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz wohl mehr das Viertel als das Bier im Sinn.

Die Geschichtsoptimierer stecken Väterchen Jahn in den politischen Giftschrank

Jahns Persönlichkeit bezeichnen sie dagegen in ihrer Umbenennungs-Begründung als „zwiespältig“ und „schwer vermittelbar“ – was diesen Querkopf, kein Schul-Idol im Biene-Maja-Format, mit manchen Berlinern verbindet. Zu dem vom Bürgermeister auf seiner Homepage propagierten Bötzow-Umfeld der 140 Nationen ( „kinder- und familienfreundlich, seniorengerecht, tolerant und weltoffen“) passt offenbar der Brauer besser – und Väterchen Jahn, der uns den Bierbauch abtrainieren soll, bleibt außen vor!

Dabei ließen sich sogar an dem superreichen Museumsförderer Bötzow edle Taten herausarbeiten: Historische Wahrnehmung funktioniert eben selektiv. Auch Schulpatron Jahn wurde ja nicht etwa wegen Aufmüpfigkeit (was dieser Text eingangs suggerierte!) zum Abschuss freigegeben, sondern: weil man ihn aufgrund seiner das Deutschtum betonenden Ertüchtigung zum Befreiungskrieg in den politischen Giftschrank sperrt. Als Beispiel für die Unzumutbarkeit des Vorturners zitiert seine Schule einen Satz, der – zeitgenössische Ideen von Rassenreinheit voraussetzend – gegen ethnische Vermischung argumentiert: „Die sich ins Negerige verlierenden Araber in Nordafrika sind die Schande ihres Volksstammes. Welch edel Volk der eigentliche Kaffer, welche gute harmlose Natur der Hottentott; und wieder welche Teufelwesen die Bastarde und Buschmänner.“ Das ist unter anderem stilistisch schwierig. Aber auch Jahns Polemik zur Rettung seiner Sprache („Unglückliches Deutschland! Die Verachtung deiner Muttersprache hat sich fürchterlich gerächt“) könnte den Geschichtsoptimierern von Prenzlauer Berg aufstoßen.

Kontext und biografische Brüche werden ignoriert

Mitläufer der Berliner (Um)Benennungs-Obsession, die Schulen und Straßen derzeit heimsucht, zeigen an Kontexten und biografischen Brüchen des historischen Personals wenig Interesse: Man pickt sich bei Trend-Figuren das Affirmative, beim Aussortierten das „Unkorrekte“ heraus. Jahns Verdienste ums demokratische Wir-Gefühl der noch nicht existenten Nation werden von seiner Schule mit dem Argument abgetan, er habe als Paulskirchen-Deputierter, also 30 Jahre nach dem Gipfel seiner Massenwirksamkeit, für konstitutionelle Monarchie und Ständestaat votiert! Tatsächlich sind Protagonisten wie dieser knorrige Sportsfreund oder ein Rabauke à la Martin Luther seinerzeit, im „Dritten Reich“, vereinnahmt, zurechtgespitzt worden; und später, wieder anders, für Geschichtskonstruktionen der DDR. Steht deshalb eine Entgiftung aller Lutherkirchen- und Straßen, aller Jahn-Stadien und Sportvereine an?

Manipulativer Umgang mit öffentlichen Markierungen lässt deprimierende Rückschlüsse auf das Geschichtsinteresse vieler Pädagogen und Politiker zu: Ihr 19. Jahrhundert, ohne das unser Heute und das 20. schwer zu verstehen sind, erscheint bei solchen Kehraus-Aktionen wie eine diffuse Collage der Projektionen; unbeschwert von den Zusammenhängen und Differenzierungen einer Fortschritts-Erzählung, die aus mehr als Schwarz und Weiß besteht.

Übrigens soll auf einem der berühmtesten Gemälde Caspar David Friedrichs („Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“) Dickkopf Jahn im Jahr vor seiner Verhaftung abgebildet sein, an der Seite eines Neubrandenburger Pfarrers. Das Bild zeigt eine Sichel … und mehr. Der ist doch rund und schön, Sie wissen schon.

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