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Berlin: Früher trocken, heute mollig - Elsässer Erzeuger haben Probleme mit ungewohnter Süße

Elsässischer Wein war in den letzten dreißig Jahren für viele Weinfreunde ein Inbegriff für trockenen, durchgegorenen Weißwein. Die Winzer zwischen Straßburg und Mulhouse ließen lange Zeit nie an der Identität ihrer Weine rütteln: Sortenrein und trocken sollten sie sein.

Elsässischer Wein war in den letzten dreißig Jahren für viele Weinfreunde ein Inbegriff für trockenen, durchgegorenen Weißwein. Die Winzer zwischen Straßburg und Mulhouse ließen lange Zeit nie an der Identität ihrer Weine rütteln: Sortenrein und trocken sollten sie sein. Das waren feste Ankerpunkte in einem Weinmarkt, der seit Beginn der 70er Jahre mehr und mehr durch Importweine bestimmt wurde.

Die positive Meinung deutscher Weinfreunde über elsässischen Wein läßt sich auf mehrere Qualitäten zurückführen: Die Weine vom linken Oberrhein werden vollständig vergoren und erscheinen deshalb geschmacklich als staubtrocken. "Restsüße" und "Süßreserve" sind Zauberworte der Weinbereitung, die nicht ins Französische übersetzt wurden. Im Elsaß wurden und werden daneben keine Neuzüchtungen ausprobiert oder angebaut. Traditionelle Sorten sind deshalb in einem "trennscharfen Geschmacksprofil" erhalten, und zudem können die Winzer vielerorts auf Rebanlagen blicken, die im aromaträchtigen Alter von 30 oder 40 Jahren stehen. Drittens bürgen Winzer, Genossenschaft oder Weinkellerei mit ihrem Namen: Der Erzeuger steht im Mittelpunkt, nur durch Grand Crus wird das jeweils besondere Terroir betont.

Doch das einheitliche Elsaß-Bild bekommt Risse. In der Gunst deutscher Weingenießer stagniert elsässischer Wein, viele Weinfreunde zeigen sich irritiert, wenn statt der erwarteten staubtrockenen Tropfen nunmehr fast süßlich-mollige Schlückchen aus so mancher elsässischen Flöte ausgeschenkt werden. Ganz deutlich zeigt sich dies in den Exportstatistiken. Wurden gegen Ende der 80er Jahre zwischen 180 000 und 200 000 Hektoliter AOC-Wein aus dem Elsass nach Deutschland eingeführt, so waren es 1997 nur noch etwa 65 000.

Die Winzer nennen geradezu ein Kaleidoskop an möglichen Gründen für diese ungewohnte Süße: Etliche, die weiterhin durchgegorene Weine im Tank oder den großen alten Fuder- und Doppelfuder-Fässern pflegen, führen die wahrnehmbare Restsüße bei den Kollegen auf die "Prozession von fast zehn guten Ernten am Oberrhein" zurück. Manchmal sei der Zuckergehalt der Trauben so hoch, dass eine vollständige Gärung zu schweren, alkohollastigen Gewächsen führen würde. Remy Gresser aus Andlau sieht die Ursache dagegen in einem Entscheidungsdefizit vieler kleinerer, aber auch der ganz großen Winzerbetriebe: "Erst im Juni oder Juli entscheidet man, ob eine Vendange Tardive oder eine Sélection de Grains Nobles (elsässische Varianten edelsüßer Weine) geerntet werden sollen. Dann hat man aber den entsprechenden Rebschnitt im Frühjahr verpaßt. Die Weine bekommen viel Süße, haben aber wenig Säure und Aroma. Die Balance stimmt nicht mehr, und häufig reichen die Mostgewichte auch nicht an die Untergrenzen einer Vendange Tardive heran." Gresser setzt bei starker Sonnenexposition der Lagen auf frühe Ernte, um fruchtige Säuren zu retten.

Frühe Lese ist auch das Stichwort für Marcel Blanck, viele Jahre der aktivste elsässische Weinbaupolitiker in Straßburg, Paris und Brüssel. "Unsere jungen Winzer haben die Erträge mittlerweile so stark zurück genommen, daß in guten Jahren innerhalb von zwei Tagen die Öchsle um 1,5 Prozent Alkohol ansteigen. Dann hat man schwere Weine. Deshalb wird in manchem Keller die Gärung unterbrochen. Sonst werden die Weine zu fett." Etienne Hugel, der neue Juniorchef des Hauses Hugel, geht mit den Winzerkollegen härter ins Gericht: Manche Erzeuger eifern für ihn zu sehr den Weinen aus Grand-Cru-Lagen nach, die oft einen Restsüßeanteil haben: "In unserem Hause werden die Spitzenweine seit 1989 als Jubilee abgefüllt und haben eine Restsüße über die Gärung hinaus bewahrt. Der Standard des Hauses Hugel ist aber weiterhin durch und durch trocken."

Viele qualitätsorientierte Betriebe entwickeln individuelle Strategien, den Segen des Himmels mit dem Leitbild für Elsässer Weine zu verbinden. Paul Zinck (Eguisheim) oder André Blanck (Kientzheim) können sich vorstellen, auch einmal übersüßen Most als Faßware auf den Markt zu bringen. Francois Thomas aus Ammerschwihr verfügt über einige Parzellen in der berühmten Lage Kaefferkopf sowie über etliche Parzellen, die mit alten Rebstöcken bepflanzt sind. Das gibt ihm die Möglichkeit, Riesling- oder Gewürztraminer-Moste mit besonders hoch geratenen Zuckeranteilen als "Vieille vigne" auszubauen oder ihre Moste zu einer Cuvée Particulière zu nehmen. Proben 97er und 98er Weine zeigen, daß auch kleinere Domänen eine sichere Hand dafür haben, zwischen Säure, Extrakten und (manchmal) ungewollter Restsüße eine gelungene Balance auszutarieren.

Generell sind die Winzer im Norden des Elsaß gegenüber ihren Kollegen im Süden durch das Terroir begünstigt. Cécile Bernhard-Reibel verfügt mit Rittersberg und Meisenberg bei Chatenois über 50 Jahre alte Rebgärten, die in Granit gründen. Ihre Weine mit kräftigen und changierenden Säuren ähneln denen aus Steillagen an Mosel oder Nahe. "Die Säure erlaubt meinen Weinen eine kleine Restsüße, wichtiger ist für mich jedoch, dass die Weine ihr Terroir widerspiegeln - egal ob mit zwei oder vier Gramm Restsüße."

Bernard S. Hamm

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