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Rund 280.000 Kilometer hat der alte Twingo schon auf dem Tacho, mit dem die „Frühförderinnen“ zu sehbehinderten Kindern in teilweise weit entfernte Winkel Brandenburgs fahren. Ulrike Teschner, die Leiterin der in Potsdam ansässigen Einrichtung, hofft auf Ersatz.

©  Thilo Rückeis

Tagesspiegel-Spendenaktion: Frühförderinnen helfen Kindern mit Sehstörungen

Eine Beratungsstelle in Potsdam begleitet und fördert Kinder mit Sehstörungen in ihrem schwierigen Alltag. Jetzt brauchen die Helferinnen ein neues Auto.

Neulich gab es ein Problem. Kein großes, aber ein Problem: Linus wollte nicht beim Aufräumen in der Kita helfen. So was mag nicht ungewöhnlich sein in seinem Alter: Linus ist erst fünfeinhalb Jahre alt. Aber bei ihm lag es nicht etwa an Unlust oder Bockigkeit. „Es war Linus einfach zu wuselig“, sagt seine Mutter Ulrike Höfer. Der sowieso sehr schüchterne Junge war verunsichert, wusste nicht, wie er sich verhalten soll, wenn alle Kinder durcheinanderlaufen.

Denn Linus sieht die Welt nicht wie die Erzieherinnen und die anderen Kinder: Er hat eine Prothese im linken Auge und rechts „Gesichtsfeldausfälle“, sagt die Mutter. Das heißt: Sein Blick auf die Welt hat schwarze Flecken. Als Baby erkrankte er an Krebs – schon in der ersten Lebenswoche wurden Tumore entdeckt, Retinoblastom war die Diagnose.

Linus ist eines von knapp 100 Brandenburger Kindern, die die elf Mitarbeiterinnen der Frühförder- und Beratungsstelle für blinde und sehbehinderte Kinder einmal pro Woche besuchen. Die Einrichtung, getragen vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk, hat ihre Räume in Potsdam, aber die Frühförderinnen – so nennen sich die Mitarbeiterinnen, die eine spezielle Ausbildung in Blinden- und Sehbehindertenpädagogik haben – reisen jede Woche viele hundert Kilometer an ihre Einsatzorte.

Im Flur der Einrichtung hängt eine große Karte von Brandenburg, auf der überall kleine grüne Punkte kleben: Sie markieren die Wohnorte und Kitas der Kinder, die unterstützt werden. Die am weitesten von Potsdam entfernten Punkte kleben in der Uckermark, ganz in der Nähe der polnischen Grenze, in der Prignitz und im Süden in der Nähe von Baruth. Drei Kinder pro Tag schaffen die Frühförderinnen im Schnitt.

"Eine große Hilfe, dass die Frühförderin zu uns kommt"

Jede Woche kommt auch eine Pädagogin zu Linus, immer abwechselnd in sein Zuhause in Teltow und in seine Kita in Berlin-Lichterfelde. Dort vermittelte sie etwa beim Aufräumproblem: Sie erklärte den Erzieherinnen, was in Linus vorging. Und sie überlegten gemeinsam, wie man die Situation so verändern könnte, dass Linus auch mithelfen kann. Meist geht die Frühförderin aber mit Linus in einen anderen Raum und macht dort mit ihm motorische Übungen. Dazu nimmt sie auch andere Kinder mit – um die Interaktion und die Integration zu fördern. „Er hat etwa Probleme beim Schneiden. Sie bastelt mit ihm. Es sind oft ganz einfache Dinge, bei denen man als Mutter aber nicht genau weiß, wie man sie vermitteln kann“, sagt Höfer.

Auf dem Spielplatz eine Leiter hochklettern zum Beispiel. Federball spielen. Oder Auge-Hand-Koordination trainieren – auf lustige Weise, in dem sie Gummibärchen mit Messer und Gabel essen. „Für ihn ist es einfach eine Spielstunde – er freut sich immer wahnsinnig auf den Tag“, sagt seine Mutter. Für sie selbst sei es „eine große Hilfe, dass die Frühförderin zu uns kommt, sich die Umgebung anguckt und das Kind in seinem Umfeld begleitet“. Sie habe etwa eine hellere Lampe im Kinderzimmer empfohlen, damit Linus beim Spielen besser sehen kann. „Es geht darum zu gucken, wie man den Alltag der Kinder besser gestalten kann“, erklärt Ulrike Teschner.

Die Frühförderung setzt schon bei Babys an

Die Sozialpädagogin, die ebenfalls eine Zusatzausbildung in Blinden- und Sehbehindertenpädagogik hat, leitet die Beratungsstelle und besucht auch selbst Kinder. „Das ist so wichtig, weil die Kinder einen anderen Zugang zur Welt haben – und auf den sind die Eltern meist nicht vorbereitet. Sie sind oft rat- und hilflos und etwas handlungsunfähig.“ Die Frühförderung setzt schon bei Babys an. „Wenn Babys nicht oder nur schlecht sehen können, drehen sie oft den Kopf weg, wenn sie angesprochen werden. Wir erklären den Müttern dann, dass sich das Kind nicht etwa von ihnen abwendet, sondern ihnen vielmehr das Ohr zuwendet. Die meisten Mütter entspannen sich dann schlagartig.“ Die Pädagogin nennt so etwas: „Die Interaktion entstören.“

Das ist aber längst nicht alles. Den Kindern, die gar nicht sehen können, bringen die Frühförderinnen bei, sich durch Klicklaute zu orientieren: „Man kann sich die Türöffnung in der Wand erschnalzen. Das funktioniert so ähnlich wie bei Delfinen und Fledermäusen“, sagt Teschner und macht den sogenannten „Klicksensor“ vor. „Wir halten den Kindern etwa eine Plastikschüssel vors Gesicht und dann mal nach links und rechts – und sie müssen anhand der Klicklaute herausfinden, wo sie ist. So wird das Gehör geschult.“ Ihr ist es wichtig, dass schon sehr kleine Kinder lernen, sich frei zu bewegen: „Sonst werden die Kinder so unselbstständig.“

Pädagoginnen schulen Kita-Erzieher auch darin, „verbal zu begleiten“

Die Pädagoginnen schulen auch die Kita-Erzieher darin, die Kinder „verbal zu begleiten“, sodass sie sich zum Beispiel selbstständig in den Waschraum bewegen können. Und mit größeren Kindern machen die Frühförderinnen Vorübungen zum Erlernen der Blindenschrift. Die Kofferräume der fünf Kleinwagen, mit denen sie zu den Kindern fahren, sind randvoll mit Spielsachen und anderen Utensilien gefüllt. Ulrike Teschner öffnet den Kofferraum des ältesten Autos ihres kleinen Fuhrparks: Vor allem Spiele und Bücher sind dort zu finden – und in jedem Auto ist ein schwarz-gelber Krabbeltunnel.

„Die wenigsten Kinder können gar nichts sehen. Aber die Sehbehinderten muss man dazu animieren, nicht nur ihr Gehör einzusetzen. Wir legen sie in den Krabbeltunnel und leuchten ihn mit einer Taschenlampe von außen an – das gibt einen Flimmereffekt. Da drinnen können sie dann rollen, krabbeln und kriechen.“ Sie wünscht sich noch mehr von diesen Krabbeltunneln, die es aber nicht mehr zu kaufen gibt.

Vor allem aber brauchen sie ein neues Auto, denn das älteste der fünf Fahrzeuge, ein Renault Twingo mit 280.000 Kilometern auf dem Tacho, muss dringend ersetzt werden, damit die Frühpädagogin, die es benutzt, nicht auf einer einsamen Landstraße in der Uckermark liegen bleibt. „Es ist sehr störanfällig und durch den nächsten TÜV kommt es bestimmt nicht“, sagt Teschner. Es sei in letzter Zeit immer wieder vorgekommen, dass die Pädagoginnen nicht bei den Kindern, sondern in der Werkstatt waren. Deshalb bittet sie um Spenden. Bei Linus ist „seine Frühförderin“ aber immer gekommen – sie ist mit einem neuen Wagen unterwegs.

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Namen und Anschrift bitte für den Spendenbeleg auf der Überweisung notieren. Im Internet: www.tagesspiegel.de/spendenaktion

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