zum Hauptinhalt

Berlin: Frust und Trost

Die höhere Mehrwertsteuer verunsichert Käufer – aber die Händler beruhigen sie mit Nachlässen

Für den Großfernseher mit 24-karätigem Goldrand zum „Tiefpreis“ von 59 000 Euro inklusive 16 Prozent Mehrwertsteuer hat die Kundin kein Auge. Im Elektronikmarkt am Potsdamer Platz steuert sie auf eine Reihe billigerer TV-Geräte zu, Preisklasse 600 bis 800 Euro. „Mein Fernseher ist gestern kaputt gegangen“, erzählt sie dem Verkäufer. „Aber zum Glück noch rechtzeitig vor dieser verdammten Mehrwertsteuer-Erhöhung.“

Die Steuer, die ab Montag von 16 auf 19 Prozent erhöht wird, ist Gesprächsstoff unter Kunden. Auch wenn Verkäufer versichern, dass Preise stabil bleiben – bei vielen, die am Donnerstag durch die Läden schlendern, macht sich das Gefühl breit, jetzt noch was Teures einkaufen zu müssen. Die meisten aber geben sich mit Umschauen zufrieden. Ein Kunde, der vor Fernsehern steht, ist ratlos. „Eigentlich brauche ich eine Tiefkühltruhe.“

In den Arkaden und anderen Einkaufszentren haben viele Händler ein Rezept gegen den fühlbaren Steuer-Frust gefunden: Es sind große Prozentzeichen als Beruhigungsmittel und Trost, dass vieles sogar billiger wird. Mode- und Schuhfilialen überbieten sich mit Nachlässen bis 70 Prozent. Ein Geschäft stellt ins Schaufenster nur Schilder: „ Saldi, Sale, Reduziert, Saldos, Rebajas – bis zu 50 Prozent.“ In der nahen Daimler-Chrysler-Filiale werden Autos ausgestellt, nicht verkauft. Schaulustige blicken in die Autos, weniger auf den Preis. Die Mercedes-Niederlassungen haben aber eine „Final-Aktion“ gestartet, und Sprecher Joachim Ackermann spricht von „regem Interesse“, zu guter Letzt doch noch einen Neuwagen „zu Top-Konditionen“ zu bekommen. Dazu zählen viele Kunden den noch geltenden Steueranteil.

Auch aus anderen Autohäusern wird vor Toresschluss noch eine rege Nachfrage gemeldet. Bei Ferrari in Moabit ist die kommende Mehrwertsteuererhöhung allerdings kein Thema. Bei Bestellzeiten von einem Jahr „stellt sich die Problematik nicht“, teilt der Händler mit.

Günter Päts vom regionalen Handelsverband hat von regelrechten „Notkäufen“ hochwertiger Waren nach Umfragen in den Branchen nichts gehört. Beim Autokauf wäre ein Kunde ohnehin „blöd“, wenn er den ausgeschilderten Preis zahle, 10 bis 15 Prozent ließen sich als Nachlass raushandeln, so dass bei drei Prozent mehr Steuern „kein Grund zur Panik besteht“. Auch sonst würden die Preise ab Januar kaum oder gar nicht steigen, oftmals dürfte sich für Geschäfte das neue Auspreisen und Umstellen des Computersystems gar nicht lohnen. Einen Großteil der Mehrkosten fingen Hersteller und Großhandel ohnehin auf. Viele Friseurläden teilten ihren Kunden mit, angesichts der Konkurrenzsituation könnten sie die Preise gar nicht erhöhen.

Aber in Apotheken wird es teurer. Maria Papastamatiou aus der Humboldt-Apotheke an der Tiergartener Lützowstraße bestätigt, dass viele Kunden Schmerzmittel auf Vorrat kaufen. An ihrem Schaufenster kleben Protestzettel. Es sei unsozial, wenn sich der Staat an der Krankheit seiner Bürger bereichere, sieben Prozent für Arzneimittel seien angemessen. Österreich erhebe beispielsweise gar keine Mehrwertsteuer.

Die Makler aber freuen sich, dass der Markt für Eigentumswohnungen angezogen hat. Ein führendes Unternehmen teilt mit, es habe seinen Umsatz über 100 Prozent gesteigert. Das dürfte weniger mit steigenden Steuern zu tun haben; eher hätte sich unter Investoren Berlin als günstige Großstadt herumgesprochen.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false