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Fünf Minuten Stadt: Alte Naive im Bierland

Immer dieses Klirren. Ein Löffel schlägt unerbittlich gegen ein halb volles Bierglas.

Immer dieses Klirren. Ein Löffel schlägt unerbittlich gegen ein halb volles Bierglas. „Ruhe, bitte“, schreit der Mann, der den Löffel in der Hand hält. Ich will auch schreien. Dabei will auch ich nur meine Ruhe. Hier, in Kreuzberg, kurz vor Mitte, in einer Kneipe. Nein, in der Feierabendkneipe des Tagesspiegels, unterhalb des Verlagsgebäudes am Anhalter Bahnhof. In diesen Hort der Ruhe, der Besinnung und Besinnungslosigkeit, wo ich Abstand gewinnen will zur politischen Berichterstattung, ist eine Gruppe obskurer politischer Aktivisten geplatzt. Sie lärmen am Nachbartisch. Aus verschiedenen Bezirken sind sie gekommen. Der Löffelmann fragt die Anwesenheit ab. Vielleicht ein Dutzend Männer bestätigen, dass sie da sind. Der Kneipenparteitag beginnt. Gezeter, Parolen. Fäuste, die auf Tische knallen. Es ist zum Weghören. „Euro“ höre ich trotzdem aus dem Stimmgewirr heraus, „Wahlkampf“ und „Prost“. Das Durchschnittsalter am Nachbartisch ist hoch, der Unmut groß. „Ich will auch mal was sagen“, ruft einer dazwischen. Klirren. „Zusammenhalt“, brummt der Mann mit dem Löffel. Es gehe nicht um die Bezirke. Schließlich mache man den Wahlkampf, erklärt er den alten Naiven, für Deutschland. „Ist doch alles umsonst, wenn wir unsere Aktivitäten nicht in die Schmierblätter bringen“, gibt einer zu bedenken. Recht hat er, beschließe ich still. Mein Leiden an diesem Abend soll nicht umsonst gewesen sein. Bitte schön.

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