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FÜNF  MINUTEN  STADT: Die Ampel

Eine kleine, wenig befahrene Kreuzung in Schöneberg. Monumentenstraße, Ecke Hochkirchstraße, um genau zu sein.

Eine kleine, wenig befahrene Kreuzung in Schöneberg. Monumentenstraße, Ecke Hochkirchstraße, um genau zu sein. Ein Mädchen wartet an der roten Ampel. Im Stehen umklammert es den Lenker seines Fahrrads. Unbeholfen wirkt das, als wäre es die erste Fahrt nach einem langen Winter. Die blonden Haare glänzen in der Sonne, kein Auto kommt, nirgends. Das Mädchen wartet, ohne sich umzusehen. Hinter ihm sammelt sich ein Pulk erwachsener Radfahrer, mit Damenrädern, Rennmaschinen, Mountainbikes, einige in dicken Wintermänteln, andere schon in kurzen Hosen, einige schwitzend, die anderen frierend, im Warten vereint. „Seid Vorbild für Kinder, fahrt nicht bei Rot!“, haben sie gelernt, wie jeder es lernt.

Kein Fußgänger kommt, kein Auto fährt an den Wartenden vorbei, die Ampel bleibt Rot, die Straße still. Das Mädchen rührt sich nicht, den blonden Bubikopf in den Wind gestreckt. Inzwischen stehen gut 15 andere Radfahrer hinter ihm, es scheint sie nicht zu bemerken, konzentriert hält es die Ampel im Blick. Als sie endlich umspringt, tritt das Mädchen fest in die Pedale. So schnell es kann, fährt es über die Kreuzung, auf eine Frau und einen Mann zu, die das Kind auf der anderen Straßenseite erwarten. „Mann, Mama!“, ruft das Mädchen wütend. „Könnt ihr mal aufhören, ständig bei Rot rüberzufahren?“ Anke Myrrhe

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