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Berlin: Gauner jagen? Ein Kinderspiel!

Mit der Verfilmung seines Romans „Emil und die Detektive“ hatte Erich Kästner seine liebe Not. Erst wollte ihm ein gewisser Billie Wilder die Geschichte verhunzen. Dann langweilte er sich bei den Dreharbeiten und stand den Filmleuten nur im Weg. Die jungen Detektive dagegen hatten vor der Kamera jede Menge Spaß

BERLINER KINOLEGENDEN (2): EMIL UND DIE DETEKTIVE

Am 31. Juli 1931 hat der junge Schriftsteller Erich Kästner in Wilmersdorf an der Kaiserallee, Ecke Trautenaustraße eine Begegnung, die ihm „ein bisschen unheimlich“ ist. Er sitzt nach langer Zeit wieder mal auf der Terrasse des Café Josty an der heutigen Bundesallee, genau dort, wo er vor zwei Jahren den Roman „Emil und die Detektive“ geschrieben hat – und er traut seinen Augen nicht.

„Am Nebentisch saß ein Kerl im steifen Hut. Die Ohren standen ihm ab. Er fraß wie ein Scheunendrescher. Mitunter blickte er scheu um sich. War das nicht Herr Grundeis, der vor zwei Jahren meinen kleinen Emil bestohlen hatte?“ Und tatsächlich, auf der anderen Straßenseite erblickt Kästner einen kleinen Schüler, „mit Koffer und Blumenstrauß war er bewaffnet. Verloren stand er zwischen den Autos da, sah zu uns herüber, duckte sich und rannte hinter den Zeitungskiosk“ – genau wie sein Romanheld Emil Tischbein, der auf seiner Ferienreise nach Berlin in der Eisenbahn von dem Bösewicht am Nebentisch um 140 Mark erleichtert worden war. „Und dann trat ich zum Nebentisch und fragte: ,Sind Sie nicht Herr Grundeis?‘ ,Jawohl‘, sagte der Mann mit dem Gaunergesicht, ,ich heiße Fritz Rasp.‘“

Ob sein Erlebnis bei den Dreharbeiten zu „Emil und die Detektive“ und die Bekanntschaft mit Grundeis-Darsteller Fritz Rasp, dem Ufa-Filmfiesling vom Dienst, wirklich so zufällig war, wie Kästner erzählt, ist nicht mehr aufzuklären. Sicher ist, dass der 32-jährige Autor mit der filmischen Umsetzung seiner Romanvorlage seine liebe Not hat – und das nicht erst, als im Sommer 1931 die erste Klappe fällt. Die Dreharbeiten an Originalschauplätzen und in den Babelsberger Filmateliers erfährt er als Geduldsprobe: „Es war so langweilig, das Dabeistehen! Ehe so eine Einstellung gedreht ist, kann man einschlafen. Das wäre kein Beruf für mich.“ Am Ende steht der Schriftsteller den Darstellern seiner Romanfiguren nur noch im Weg: „Sie schmeißen uns ja die ganze Außenaufnahme“, empört sich der Aufnahmeleiter. „Sehen Sie zu, dass Sie weiterkommen. Zelluloid ist teuer.“

Erich Kästner landet mit seinem Romanerstling „Emil und die Detektive“ im Herbst 1929 einen fulminanten Erfolg: Die Geschichte von dem Jungen aus der Kleinstadt, der auf dem Weg zur Großmutter nach Berlin bestohlen wird und den Dieb mit einer Schar von Berliner Gören quer durch die Reichshauptstadt verfolgt und ihn am Ende stellt, wird zum Bestseller. Die junge Leserschaft kann von Emils abenteuerlicher Verbrecherjagd nicht genug bekommen. Kästner liefert eine Bühnenfassung nach. Die Inszenierung von Karlheinz Martin, am 20. November 1930 im Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt, wird gefeiert. Tags darauf beschließt der Ufa-Vorstand, „dass ein gutgemachter Kinderfilm eine Programmbereicherung darstellen könnte“, und bewilligt 10 000 Reichsmark, um die Rechte an Kästners Roman zu kaufen. Ein geschäftliches Wagnis, denn Kinder allein versprechen nicht den großen finanziellen Erfolg. Um das Risiko zu verringern, gibt Produktionsleiter Günther Stapenhorst die Devise aus, „einen Kinderfilm für Erwachsene zu drehen“ – die Ufa-Werbung peilt eine Zielgruppe „zwischen 70 und 6“ an, ein Film für die ganze Familie soll es werden.

Kästner erhält den Auftrag , das Drehbuch zu schreiben. Der Ungar Emmerich Pressburger – seit kurzem Dramaturg bei der Ufa – soll ihm dabei helfen. Pressburger hat bereits Erfahrung mit Drehbüchern, schrieb für Robert Siodmak „Abschied“. Gemeinsam reisen beide im Januar 1931 nach Kitzbühel. In den Tiroler Alpen arbeiten sie „mit Sorgfalt und Begeisterung“ am Skript. „Ein gutes Drehbuch“, befindet Kästner. „Es hatte einen einzigen Fehler: Wir lieferten es in unserem Feuereifer zu früh ab!“ Chefdramaturg Robert Liebmann bringt einen Dritten ins Spiel. Der ehemalige B.Z.-Reporter Billy Wilder, der sich damals noch Billie schrieb, hat sich gerade als Drehbuchautor der Großstadtromanze „Menschen am Sonntag“ einen Namen gemacht und soll den Entwurf überarbeiten.

Der 23-Jährige macht ganze Arbeit – Kästner wütet: „Das Manuskript ist ekelhaft. Emil klaut in Neustadt einen Blumentopf für die Großmutter. In Berlin, auf der Straßenbahn, klaut er einem Herrn den Fahrschein… ein Goldjunge, dieser Emil… Die ganze Atmosphäre des Buchs ist beim Teufel. Und ich werde Anfang der Woche saugrob werden, wenn ich mit Stapenhorst rede.“ Auch mit Wilder will sich Kästner „bis zur Weißglut“ über die Änderungen gestritten haben. Wilder indes kann sich später an keinen Streit erinnern. Am Ende setzt sich Kästner durch: „Der Film wird nun ziemlich so wie das Buch. Aber Nerven hat das gekostet und Zeit.“

Von jetzt an haben andere das Sagen. Regisseur Gerhard Lamprecht soll den Film inszenieren. Der 34-jährige Berliner hat Erfahrung mit Kinderdarstellern. 20 Stummfilme hat er gedreht, darunter die Thomas-Mann-Verfilmung „Die Buddenbrooks“. 1926 inszeniert er „Die Unehelichen“, einen „Milljöh“-Film mit vier- und fünfjährigen Kindern. „Noch kein Kinderfilm war so ergreifend, weil noch kein Kinderfilm Wesen und Art des Kindes so echt spiegelte“, urteilt die Kritik.

Zur Besetzung der Rollen für „Emil und die Detektive“ ruft die Ufa die Berliner Schulen zur Mithilfe auf. Etwa 2500 Kinder zwischen neun und 14 Jahren stehen schließlich zum Vorsprechen vor dem Ufa-Palast am Zoo – fünf von ihnen werden für Hauptrollen ausgewählt. Nur zwei Darsteller übernimmt Lamprecht aus der Besetzung des Theaterstücks.

Im Juli beginnen die Dreharbeiten. Der 14-jährige Rolf Wenkhaus als Emil und die anderen jungen Darsteller setzen das Team unter Zeitdruck: Bis zum Ende der Sommerferien muss der Film fertig sein. Die Kinder dürfen nur vier Stunden täglich vor der Kamera stehen, eine Aufsicht vom Jugendamt ist ständig dabei. Lamprecht verlässt sich ganz auf den natürlichen Spieltrieb der Kinder. „Auf die Rolle sind wir nicht groß vorbereitet worden“, erinnert sich Hans Richter, im Film der Junge mit dem Indianer-Tick. „Die Szenen ergaben sich im Spiel, in der Improvisation.“

Das Ergebnis begeistert Zuschauer wie die Kritiker. „Der Erfolg? Er war riesengroß“, berichtet das „Berliner Tageblatt“ nach der Premiere am 2. Dezember 1931 im Ufa-Theater Kurfürstendamm, aus dem später die Filmbühne Wien wird. „Lange hat das Kino keinen so stürmischen Beifall erlebt.“ Und das nicht nur in Deutschland. Einige Wochen läuft Lamprechts Film in New York, der „Daily Film“ empfiehlt ihn Hollywood als Musterbeispiel für Kinderfilme. Aus Paris meldet der Korrespondent des „Film-Kurier“, das Werk sei „ein Film der Völkerversöhnung: das Kino bekommt täglich Anfragen nach Emil und den anderen, die man gerne kennen lernen möchte.“ Als der Film im März 1933 in London aufgeführt wird, ist bereits Hitler an der Macht. Kästner wird zum verfemten Autor, Wilder schreibt Kinogeschichte in Hollywood, Pressburger in England. An Lamprechts Kästner-Film hat auch das Publikum im „Dritten Reich“ seinen Spaß. Nicht nur in Berlin steht der Film wiederholt auf dem Programm. „Emil und die Detektive“ reisen sogar in die Provinz – mit dem Tonfilmwagen der NS-Organisation „Kraft durch Freude“.

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