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GAZETELER Rückblick: „Wir werden Wien erobern“

Wie die türkischen Blätter Stimmung für das Spiel gegen Kroatien machten

Seit Tagen schon heizten die türkischen Blätter den Fans mächtig ein, doch vor dem Spiel gegen Kroatien am Freitag legten alle noch einmal zu. „Heute schlagen in Wien 100 000 Herzen“ titelte zum Beispiel die „Hürriyet“. Darunter stand: „Die ganze Welt wird uns heute sehen.“ Die Anspielung mit den vielen hundert Herzen beruht auf der Nachricht, dass angeblich rund 100 000 Türken nach Wien gereist sind, „um unsere Mannschaft zu unterstützen“. Diesen Zuspruch brauche die türkische Nationalmannschaft auch, schließlich gehen es um ein „historisches Spiel gegen Kroatien“.

1996 hat sich die Türkei erstmals in ihrer Geschichte für die EM 1996 qualifiziert – spätestens nach dem Viertelfinale war immer Schluss. Kein Wunder also, wenn die Emotionen so hochschlagen. Für deutsche Ohren klingt der Ton, den die türkischen Blätter anschlagen, zuweilen etwas martialisch. „Dieses Mal werden wir es schaffen, Wien zu erobern“, titelte die „Türkiye“ vor dem zweiten Viertelfinale der EM. Und weiter hieß es: „Die Türkei, die ein zweites Mal vor denToren Wiens steht, will dieses Mal reingelassen werden.“ Die Feindschaften zwischen den Nachfahren der Osmanen und ihrer Nachbarn in Europa gehören jedoch längst der Vergangenheit an. Bei wichtigen Spielen neigen die türkischen Journalisten aber dazu, pathetisch zu werden. Und da müssen dann auch die Kroaten für historische Bilder herhalten. „Das sind die Enkel der Kroaten, die sich gegen das osmanische Heer gestemmt hatten“, heißt es in der „Türkiye“.

Spielanalysen gibt es in den Blättern nur hinten auf den Sportseiten. Auf den Titelseiten und in den Europabeilagen berichten Zeitungen vor allem über das bunte Drumherum bei der EM. Die „Milliyet“ schlug dabei vergleichsweise versöhnliche Töne an. Sie zeigte auf ihrer Titelseite zwei weibliche Fußballfans der türkischen und kroatischen Mannschaft und schrieb über dieses Bild. „Freundschaftsgrüße aus Wien“. Im Text hieß es: „In den Straßen von Wien herrscht Karnevalsstimmung. Türken und Kroaten jubeln für ihre Mannschaften, senden Hand in Hand Botschaften der Toleranz- und Freundschaft.“ Außerdem weiß die Milliyet von türkischstämmigen Politikerinnen in Deutschland zu berichten, die der Türkei die Daumen drücken. „Die weiblichen Politikerinnen glauben an unsere Mannschaft“, heißt es da. Und auch die Berliner „türkischen Mädchen“ kommen zu Wort mit einer speziellen Analyse: „Am hübschesten finden sie Volkan und Arda“, heißt es unter den Fotos. In einem Punkt scheinen sich alle Zeitungen einig zu sein: Die Berliner Türken haben es gut. Sie können die Partien in ARD oder ZDF sehen. In der Türkei können die Menschen die EM nur im Pay-TV verfolgen. Suzan Gülfirat

Suzan Gülfirat

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