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Gebetsraum-Urteil: Beim Schulgebet ist noch kein Amen gesprochen

Das Berliner Gebetsraum-Urteil löst eine Debatte um Religionsfreiheit aus. Dem Schüler Yunus M. bleibt nun noch der Weg zu Bundesgerichten.

Nach dem Urteil ist vor dem Urteil. Zwar ist noch unklar, ob der Anwalt des muslimischen Schülers Yunus M. gegen die Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts vorgeht. Demnach kann das Gymnasium dem 16-Jährigen das Beten auf dem Schulgelände untersagen. Schon jetzt aber hat das Urteil zu einer Debatte geführt: Wie viel Religion darf, wie viel Neutralität muss sein?

Aus mehreren Berliner Schulen hieß es gestern, man sei froh über das Urteil – etwa an der Theodor-Heuss-Oberschule in Gesundbrunnen. Dort hatte es in der Vergangenheit vehemente Versuche muslimischer Schüler gegeben, einen Raum für Gebete durchzusetzen: Sechs Schüler und Schülerinnen hatten zuletzt im allgemein zugänglichen Aufenthaltsraum gebetet, davor aber „Wachen“ aufgestellt, um ungestört zu bleiben. „Für mich hat sich das Problem nun entspannt“, sagte die Leiterin Andrea Beyenbach am Freitag. Auch Pit Rulff, Leiter des großen Oberstufenzentrums Druck- und Medientechnik in Wittenau, sagte, er begrüße das Urteil: „Das entschärft den Konflikt.“ An seiner Schule habe es bisher aber keine vergleichbaren Fälle gegeben. Einen Raum der Stille, in den sich Schüler aller Religionen oder Nichtgläubige zurückziehen könnten, begrüße er jedoch.

Marlis Meinicke-Dietrich, Leiterin der von zahlreichen Muslimen besuchten Neuköllner Röntgen-Realschule, sagte, das Urteil könne hilfreich sein. „Ich habe nichts gegen Beten an sich“, sagte sie – nur etwas gegen einen separaten Raum für einzelne Religionen. In Pausen dürften ihre Schüler aber beten. Der Leiter der Robert-Koch- Oberschule in Kreuzberg, Rainer Völkel, erklärte, bei ihm habe es bereits Vorstöße von Muslimen gegeben, die um eine ähnliche Möglichkeit ersucht hätten. Dennoch benötige er das Urteil nicht, um Sicherheit im weiteren Vorgehen zu erlangen: „Wir haben das bereits anders geregelt.“ Die Schulkonferenz habe einen separaten Gebetsraum abgelehnt. Aber im Nebengebäude gebe es in den Pausen immer die Möglichkeit für Gebete. Diese Regel sei mit den Schülern besprochen worden. Probleme gebe es keine.

Kritisch bewerteten das Urteil nicht nur islamische Vereine, sondern auch andere Religionsgemeinschaften. Bei der evangelischen Landeskirche wies man darauf hin, dass das staatliche Neutralitätsgebot deutlich höher bewertet worden sei als das Recht auf freie Religionsausübung. Das Verwaltungsgericht hatte dem Gymnasiasten noch 2009 zugebilligt, in der Schule einmal täglich zu beten. Und weil er dadurch andere Schüler in ihrer Bekenntnisfreiheit beeinträchtigen könnte, bekam er dazu einen eigenen Raum. Das frühere Urteil habe die „positive Religionsfreiheit“ anerkannt, erklärte eine Kirchensprecherin. Damals habe man immerhin gelten lassen, dass „Schule kein religionsfreier Raum“ sei. Ähnlich sieht man das bei der Jüdischen Gemeinde. Deren Kultusbeauftragter Grigorij Kristal sagte dem Tagesspiegel: „Solange der Schüler dabei nicht gegen ein Gesetz verstößt, hätte er einen Gebetsraum bekommen sollen.“ In der Gemeinde gibt es dazu jedoch unterschiedliche Auffassungen. In der katholischen Kirche äußerte man Befürchtungen, dass Beten an Schulen nun grundsätzlich schwieriger werde.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland zeigte sich enttäuscht. Die Richter hätten den Bildungsauftrag höher gewertet als die Religionsfreiheit, erklärte der Verband ähnlich wie die Kirchen. Allerdings dürften in staatlichen Schulen christliche Kruzifixe hängen.Beim traditionell religionskritischen Humanistischen Verband Deutschlands wurde die Gerichtsentscheidung begrüßt. Bisher habe in diesem Fall die Gefahr bestanden, dass die „negative Religionsfreiheit jedes Schülers“ gestört würde. Den Vorrang der Religionsfreiheit vor dem Schulfrieden hatte der Verband bereits nach der ersten Entscheidung kritisiert. Nichts einzuwenden hat der Senat: „Schulen sind nicht verpflichtet, Ritualgebete auf dem Schulgelände zuzulassen.“ Die Wahrung des Schulfriedens sei aber oberstes Gebot.

Eine Beschwerde gegen das Urteil ist beim Bundesverwaltungsgericht möglich. Sollte der gebetswillige Schüler auch dort scheitern, bleibt der Weg nach Karlsruhe. Dort sitzt Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio. Und der hatte ausgerechnet das erstinstanzliche Urteil zum Gebetsraum explizit gelobt. Die damalige Entscheidung habe den „Grundton der Verfassung“ getroffen. Nichtchristlicher Glaube dürfe nicht benachteiligt werden, sagte der als Konservativer bekannte Di Fabio.

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