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Gedächtniskirche: Der Kampf um die Ruine – bis heute im Gedächtnis

Vor 50 Jahren verhinderten die Berliner den Abriss des Wahrzeichens Gedächtniskirche - mit dem Tagesspiegel vorneweg. Damit ist der Tujrm auch ein Zeugnis für den hartnäckigen Willen der Berliner, am Bild ihrer Stadt festzuhalten.

Die Bundeskanzlerin hat die Schirmherrschaft übernommen. Landesbischof Wolfgang Huber und Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen laden ein. Auf so prominente Weise wird ein Konzert ausgezeichnet, das am kommenden Freitag, dem 9. November, in der Gedächtniskirche stattfinden wird. Das Konzert ist der Auftakt einer Spendenkampagne zur Sanierung der Turmruine. Auf 3,5 Millionen Euro werden die Kosten dafür geschätzt. Das ist von der Kirchengemeinde nicht aufzubringen.

Mag sein, dass der Turm durch die neuen Wahrzeichen Berlins von seinem einstigen Rang als Hauptsehenswürdigkeit verdrängt worden ist. Dennoch gibt es Gründe, für seine Sicherung zu werben. Denn er ist nicht nur eine Reminiszenz an das kaiserzeitliche Berlin und die berühmten Weimarer Jahre. Der Turm ist auch ein Zeugnis für den hartnäckigen Willen der Berliner, die zu bleiben, die sie sind, und am Bild ihrer Stadt festzuhalten, geltend gemacht in schwierigen Jahren. Denn ohne diesen Willen gäbe den Turm nicht mehr. Vor 50 Jahren haben die Berliner den Abriss verhindert.

Nachdem bald ein Jahrzehnt lang über Abriss oder Wiederaufbau der 1943 schwer beschädigten Kirche diskutiert worden war, hatte man sich 1956 zu der Entscheidung für einen Neubau durchgerungen. Egon Eiermann gewann den Wettbewerb mit seinem gläsernen Achteck. Aber dabei sollte auch, abgesegnet vom Preisgericht, der Turm fallen. Dagegen erhob sich – wie der Tagesspiegel hoch erregt schrieb – ein „Sturm der Entrüstung“, der „durch ganz Berlin fegt“. Der damalige Chefredakteur des Tagesspiegels, Karl Silex, bezog auf Seite 1 mit dem Leitmeinungsstück Stellung.

Elegant und entschieden wendete er die Überzeugung von der Überlebtheit der Vergangenheit, mit der die Befürworter für den Abriss plädierten, gegen deren Bild von Geschichte und Gegenwart: „Der Gedächtnisturm, der uns und kommenden Generationen etwas sagt, ist doch erst durch die Zerbombung der Kirche, durch die Zerbombung Deutschlands überhaupt, zu dem aus der Zerstörung entstandenen Mahnmal“ geworden. Zugleich ironisierte er die neue Platzgestalt, für die Egon Eiermann einen überschlanken Betonstab vorgesehen hatte: Solle man sich etwa künftig statt wie bisher „an der Gedächtniskirche“ am „Streichholz“ verabreden?

Mit einem Spendenaufruf und einem Stimmzettel in der folgenden Sonntagsausgabe trieb der Tagesspiegel die Debatte voran. 11 737 Leser füllten ihn aus, über 90 Prozent stimmten für die Erhaltung, ohne – was die Zeitung besonders hervorhob – grundsätzliche Gegner moderner Kirchenbauten zu sein. Zwei Seiten füllten die Leserbriefe, die die Zeitung erreichten – sehr kontroverse übrigens, schwankend zwischen dem neuen Bauwillen der fünfziger Jahre und alter Anhänglichkeit. Auch unter den Fachleuten: Strikt dagegen war etwa der Kunstkritiker Will Grohmann – „Turmruine und Neubau Kirche, das wäre zuviel, selbst Berlin könnte sich das nicht leisten“ –, während Hans Scharoun eine vermittelnde Position suchte. Erschöpft bat die Zeitung um Verständnis dafür, dass sie weitere Briefe nicht abdrucken könne.

Das Kuratorium kippte den Preisrichterbeschluss. Der Rest war eine Veränderung des Eiermann-Entwurfs, die ihn schließlich zu dem Schluss brachte: „Meine Kirche könnte in jeder Stadt stehen, aber mit der Turmruine verbunden ist sie ein einmaliges, nur in Berlin mögliches Bauwerk.“ An welche Tiefenschichten des damaligen Berlin die Debatte rührte, ist ablesbar an der Glosse, die Günter Matthes zur Weihe der Kirche 1961 schrieb. „Das brandige Gemäuer umranken historische Erinnerungen und respektable Gefühle, zäher und dichter als Efeu“, formulierte er bewegt. Und: „ein neues Kapitel von Berlin W wird aufgeschlagen“, das er einen „Schauplatz deutscher Möglichkeiten“ nannte.

Auf den 9. November ist das Konzert gelegt, weil vor 100 Jahren Prinz Louis Ferdinand von Preußen geboren wurde. Der Urenkel Wilhelms I., des Namensgebers der 1895 errichteten Kirche, war der erste Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Von Louis Ferdinand, der auch komponierte, stammt die Melodie des Glocksenspiels, das stündlich von der Kirche erklingt. Er hatte den Auftrag in einem anonymen Wettbewerb gewonnen.

Eintrittskarten für 25 Euro gibt es an der Gedächtniskirche oder unter www.gedächtniskirche-berlin.de.

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