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Abschied: Gedenkstunde für Kirsten Heisig

Bei einer Gedenkstunde für Kirsten Heisig, die sich Anfang Juli im Tegeler Forst das Leben nahm, erinnerten Mitarbeiter und Weggefährten am Sonntag an den engagierten Einsatz der Richterin für Neuköllner Jugendliche.

Neben der Genezareth-Kirche in Neukölln haben sie einen Fernseher aufgestellt. Public Viewing wie überall. Kirsten Heisig würde es gefallen. Zweieinhalb Stunden vor dem Finalspiel der WM gedenken ehemalige Mitarbeiter und Weggefährten der fußballvernarrten Jugendrichterin, die sich Anfang Juli im Tegeler Forst das Leben nahm. Ihr Foto mit Trauerflor steht neben dem Altar in der hellen, modernen Kirche im Schillerkiez, mitten in Nord-Neukölln, wo viele Straftäter aufgewachsen sind, um die sich Kirsten Heisig so außergewöhnlich engagiert gekümmert hat.

Kameras und Mikrofone sind tabu. Es soll ein letzter Abschied sein, ein gemeinsames Erinnern an einen Menschen, den viele hier glaubten, gut gekannt zu haben. Niemand unter den mehr als hundert Gästen hätte es für möglich gehalten, dass sich Kirsten Heisig das Leben nehmen würde. Umso größer ist jetzt die Sprachlosigkeit und das Bedürfnis, etwas zu tun, und sei es nur beisammen zu sein und zuzuhören.

Arnold Mengelkoch, der Migrationsbeauftragte von Neukölln, hat zum Gedenken eingeladen. „Ich wollte nicht in den Ferien durch die Alpen wandern, ohne mich von ihr zu verabschieden“, sagt er. Vielen geht es ähnlich. Ein Polizeibeamter der Direktion 5, die für Neukölln zuständig ist, bedankt sich anschließend bei Mengelkoch für die Einladung. Das Totengedenken habe ihm und seinen Kollegen einen Teil der Fassungslosigkeit genommen, die der Freitod Heisigs hinterlassen hatte.

Pfarrerin Elisabeth Kruse spricht wie eine tröstende Mutter, mitleidend, aber gefasst. „Wir stehen hier an der Grenze des Lebens und haben keine Antworten.“ Sie zitiert Rilkes Gedicht „Der Tod ist groß.“

Sie zog in den Kampf, um etwas zu verändern

Die Journalistin Güner Balci, bekannt geworden durch den Roman „Arrabboy“, der realitätsnah und schonungslos das Milieu der arabischen Jugendlichen in Neukölln beschreibt, spricht von Heisig als einer „moralischen Instanz.“ Bei ihren Recherchen lernte sie die Richterin kennen und ist nach mehreren Treffen nachhaltig beeindruckt von der Kraft dieser „zarten Person.“ Sie habe selten jemanden getroffen, „der mich so überzeugen konnte. Sie war unermüdlich, angstlos und voller Empathie.“ Balci schildert Heisig als eine „starke Frau“, die „in den Kampf zog, um etwas zu verändern.“ Es habe nichts gegeben, was Kirsten Heisig „so schnell umhauen konnte.“ Sie habe oft in Talkshows und auf Diskussionen allein für ihren Standpunkt gestritten. „Dafür habe ich sie bewundert.“ Offenbar umgab die Jugendrichterin eine Aura der Unverletztlichkeit, die über jeden Zweifel erhaben war. Die andere, dunklere Seite ihrer Persönlichkeit blieb hingegen hermetisch verriegelt.

Christian Horn, ein Polizeibeamter, der Heisig oft auf Veranstaltungen traf, berichtet von der Weihnachtsfeier eines Vereins-Netzwerks, zu der auch die Richterin erschienen war. „Sie blieb bis zuletzt.“ Sie konnte sich eben auch amüsieren und feiern, war gesprächig und offenherzig. Am 27. Juni traf Horn sie zum letzten Mal an einem Stehtisch – der Anlass ist nebensächlich. „Wir fachsimpelten über die deutsche Nationalmannschaft, erzählten viele Witze, lachten.“ Schließlich bestellten sie gemeinsam eine Currywurst und aßen vom selben Teller. Standesdünkel lag ihr fern. Nach der Currywurst musste Heisig dann dringend aufbrechen. Das Achtelfinale gegen England durfte sie auf keinen Fall verpassen.

Sie war ein „liebenswürdiger und humorvoller Mensch“, sagt Horn, aber sie war sich auch den Gefahren ihrer exponierten Rolle bewusst. „Ihre größte Sorge war die Sicherheit ihrer Töchter.“

Kirsten Heisig war omnipräsent in Neukölln. „Sie war einfach immer da“, erinnert sich der Migrationsbeauftragte Mengelkoch. Und sie meldete ihren Widerspruch an, wenn die Ursachenforschung sozialer Phänomene in die falsche Richtung zu driften schien. „Sie war sehr eigenwillig.“ Und sie war allein, schloss sich keiner Gruppe, schon gar nicht einer Partei an. Fritz Felgentreu, der Neuköllner SPD-Abgeordnete, sagte, er habe sie mal werben wollen, weil sich viele Positionen von Heisig und der SPD doch sehr nahe kamen. Aber sie lehnte freundlich ab. Ihre Errungenschaft, das „Neuköllner Modell“ zur schnellen Aburteilung jugendlicher Straftäter wird aber bleiben. Da bestehe keine Gefahr, sagt einer der Polizisten.

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