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Berlin: Gefährliche Lücke

Von der Familie verwöhnt – und dann allein gelassen: Warum immer mehr junge Männer aus Einwandererfamilien kriminell werden

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Hat die Integrationspolitik versagt? Polizeipräsident Dieter Glietsch beklagt, dass Raub- und Körperverletzungsdelikte in Berlin in diesem Jahr um 12 Prozent zunahmen und überproportional häufig von „jungen Männern aus Migrationsfamilien“ verübt werden. Den Trend sieht auch die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU): „Für diejenigen, die nicht mehr in der Schule, aber noch nicht erwachsen sind, fehlen Fördermaßnahmen.“

John spricht von „Halteseilen“, die Anfang der neunziger Jahre gekappt worden seien. Zum Beispiel Deutschkurse für Jugendliche aus Zuwandererfamilien, angeboten von den Arbeitsämtern. „Diese Problemgruppe ist zu früh gleichgestellt worden mit anderen jungen Arbeitssuchenden.“ Zu früh habe man gedacht, dass diese Jugendlichen inzwischen die gleichen Chancen hätten wie ihre deutschen Altersgenossen.

Die Schulen seien überfordert, die Elternhäuser nur als Anlauforte präsent, fügt die Ausländerbeauftragte hinzu. Dem männlichen Nachwuchs werde zu Hause zu wenig abverlangt. „Da entstehen Verwöhnungsneurosen.“ Gefolgt von Enttäuschung, Verfall der elterlichen Autorität und dem Gefühl, allein gelassen zu sein.

Die SPD-Sozialpolitikerin Ülker Radziwill weiß auch kein Patentrezept. Ihrer Meinung nach müsste man mehr auf die jungen Männer nichtdeutscher Herkunft zugehen. Nicht nur in den Schulen. „Auch in den Treffs und Cafés, wo viele türkische Jugendliche herumhängen.“ Die SPD-Abgeordnete baut zurzeit mit türkischstämmigen Studenten ein Selbsthilfeprojekt auf, um Jugendliche dabei zu unterstützen, die Schule erfolgreich zu beenden oder einen Ausbildungsplatz zu finden.

Radziwill plädiert auch für den Einsatz fremdsprachiger Sozialarbeiter, um den Eltern zu helfen, „die oft unwissend, der deutschen Sprache nicht mächtig und selbst mit Problemen überhäuft sind“. Und in den Stadtregionen, die als soziale Brennpunkte bekannt seien, müsste es genügend Freizeit- und Sportangebote für Jugendliche geben. „Denn schlimme Taten werden nicht selten aus Langeweile begangen.“

Öczan Mutlu von den Grünen ist der gleichen Meinung. Diese Problemgruppe müsse „von der Straße ferngehalten“ und sinnvoll beschäftigt werden. Der Grünen-Abgeordnete kritisiert die Arbeitsämter, weil jugendliche Arbeitssuchende ihm erzählten, dass die Berufsberater überlastet oder desinteressiert seien. Bei diesen jungen Leuten bliebe der Eindruck haften: „Die wollen uns nicht; die versorgen erst ihre Deutschen.“ Auch wenn das eine sehr subjektive Wahrnehmung sei, , bleibe Wut und Frustration zurück. Auch Mutlu vertritt die Einschätzung, dass die Berliner Schulen nicht in der Lage seien, die Probleme im Vorfeld zu mindern. „Im Gegenteil, die Defizite wachsen in der Schulzeit an.“ 30 Prozent der türkischen Kinder gingen von der Hauptschule ohne Abschluss ab. In Kreuzberg seien es 40 Prozent. Ganztagsschulen müssten zuerst in den schwierigen Stadtregionen eingerichtet werden, um die Familien zu entlasten.

Der CDU-Abgeordnete Roland Gewalt vertritt einen ganz anderen Ansatz: Jungkriminelle, die mehr als ein Jahr Haft zu verbüßen hätten, müssten zwingend ausgewiesen werden. Und er fordert geschlossene Heime für junge Straftäter, „auch unter 14 Jahren.“

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