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Berlin: Gefühlsverwirrung

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Beim Wetterbericht sind wir immer ganz Ohr. Alle hören ihn, alle richten sich danach. Seit sich Fernsehmoderatoren dieses wichtigen Themas angenommen haben, klingt die Wettervorhersage nicht mehr so trocken wie von Meteorologen formuliert, sondern recht unterhaltsam. Ach, sie ahnen ja nicht, wie sehr sie mit ihrer Formulierungskunst unsere Sprachgewohnheiten beeinflussen.

Man kann darauf warten, dass eine Vokabel, die die Wetterinterpreten ein paar Mal benutzt haben, Mode wird, auch in der Sprache der Politiker. Sie sagen jetzt gern einen „Mix von Wolken und Sonne“ voraus, und schon ist der Mix in aller Munde. Das Wort Mischung verblasst, als sei es kurz vor dem Absterben, von der Mixtur ganz zu schweigen. Sozialsenatorin Heidi KnakeWerner erläuterte vor dem Abgeordnetenhaus einen „Maßnahmenmix“ zur „Umsetzung von Hartz IV“. Auch der Finanzierungsmix aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln ist im Kommen. Womöglich wird er die Mischfinanzierung ablösen.

Dank der unterhaltsamen Wetterinterpreten kennt jedes Kind den Unterschied zwischen der gefühlten und der gemessenen Temperatur. Sie erklären uns das ja oft genug. Prompt macht sich im öffentlichen Leben eine Sprachgeschwulst namens gefühlte Fakten breit. Die Grünen-Chefin Claudia Roth war neulich bei Türken in Kreuzberg zu Besuch. Gut, dass sie sich mit Kopf und Herz um die Integrationspolitik kümmert. Aber warum nur musste man in der Zeitung lesen, das Ereignis sei „gefühltes Multikulti“ gewesen?

Die Gefühligkeit in der Politik treibt seltsame Blüten. Kaum ein Politiker, der nicht versichert, man müsse mit diesem und jenem Problem sehr sensibel umgehen. Man sagt nicht mehr schwierig, man sagt sensibel. Doch damit nicht genug. Neuerdings werden uns auch noch lauter gefühlte Tatsachen und gefühlte Gedanken vorgesetzt, was erst recht eine bedenkliche Gedankenlosigkeit verrät.

„Mit den Tagesthemen um 22 Uhr 15 offeriert das Erste eine zeitnahe, mehr gefühlte Alternative zum heute-journal“, konnte man mehrfach hören und lesen. So viel zur Frage einer zeitlichen Verschiebung der Tagesthemen. „Möglicherweise war die gefühlte berufliche Perspektivlosigkeit des Mannes ein Anlass für den Entschluss, sich das Leben zu nehmen“, bekundete ein Experte des Hamburger Therapiezentrums für Suizidgefährdete. Mit anderen Worten: Die Angst vor Arbeitslosigkeit war wohl der Anlass für den Freitod.

Ob die Dinge traurig, kompliziert oder erfreulich liegen: Das kann doch kein Grund für gefühlige sprachliche Vernebelung sein.

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