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Mietpreise und Sozialstruktur: Gefühlte Gentrifizierung in Nordneukölln

Eine Studie des Senats besagt, dass Verdrängung der Anwohner aus Nordneukölln nicht zu erwarten ist. Betroffene glauben das nicht und befürchten, dass für sozial Schwache bald kein Platz mehr im Kiez sein wird.

Nordneukölln als Beute wilder Gentrifiezierer? Viele Anwohner, die am Montagabend in die Mensa auf dem Campus Rütli gekommen waren, hatten daran keinen Zweifel. Doch eine Sozialstrukturstudie, deren Ergebnisse vorgestellt wurden, kommt zu anderen Schlüssen: Der Gentrifizierungsprozess habe noch nicht begonnen und sei auch nicht im großen Stil zu erwarten. Die Studie, die die sozialstrukturellen Entwicklungen der letzten Jahre untersuchte, wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegeben. Es ging um Nordneukölln und speziell um die Quartiersmanagementgebiete Reuterkiez und Schillerpromenade. 600 Fragebogen wurden ausgewertet. Der Migrantenanteil unter den Befragten lag bei etwa 50 Prozent.
Unter Gentrifizierung verstanden die Forscher, dass Bewohnergruppe mit niedrigerem Status durch andere mit höherem Einkommen/Status und anderem Lebensstil ausgetauscht werden. Doch wer seit 2008 in den Norden Neuköllns zog, verdiente mit Ausnahme des Reuterkiezes 13 bis 14 Prozent weniger als der Berliner Durchschnitt. Ein Fünftel der Haushalte in Nordneukölln ist immer noch arm. „Deutlich wird nur, dass arme durch etwas weniger arme Haushalte ersetzt werden“, sagte Studienleiter Gude. Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der neben Staatssekretär Ephraim Gothe und Neuköllns Baustadtrat Thomas Blesing auf dem Podium saß, hatte ein anderes Ergebnis erhofft: Eine sozialstrukturelle Aufwertung und ein besseres „Mischungsverhältnis“ zwischen sozial Schwächeren und Stärkeren.
Einzig im Reuterkiez war das anders: Hier nahm die Zahl der Gentrifizierer nach 2007 signifikant zu, die Mieten lagen hier am höchsten. Wer neu einzog, verdiente ein Prozent mehr als der Berliner Durchschnitt. Die gefühlte Gentrifizierung bei den Bewohnern vor allem in der Schillerpromenade erklärt die Studie mit sichtbaren Veränderungen im Straßenbild. Das liege aber an der hohen Zahl von Kreativen und Studenten, die sogenannten „Pioniere“. Die meisten in der Rütli-Mensa fanden es gut, dass diese neuen Nachbarn kommen. Viele Lokalpolitiker waren im Saal, Migranten dagegen waren kaum gekommen, obwohl sie mehr als 50 Prozent der Bevölkerung im Norden des Bezirks ausmachen.

Beim Thema Mietentwicklung ging ein Raunen durch den Saal. Die Studie zeigt: Trotz geringer Einkommen müssen die Nordneuköllner immer höhere Mieten bezahlen. Wer nach 2009 in eine Wohnung am Reuterplatz zog, zahlte im Schnitt einen Euro mehr. An der Schillerpromenade, wo viele Einkommensschwache leben, sind es sogar 1,19 Euro mehr als vor 2009. Die Miete liegt bei 6,19 Euro kalt – eine Steigerung von 24 Prozent.
Wie kann bezahlbarer Wohnraum für Geringverdiener geschaffen werden? Mit Wohnungsbau, sagte Staatssekretär Gothe, was im dicht bebauten Neukölln nicht einfach ist. Vorschlag: Tempelhofer Feld. „Ein schlechter Witz!“, rief jemand im Saal. „Sicher: 5,60 Euro im Neubau wird es nicht geben“, sagte Gothe. Die Neubauten sollten lediglich „Druck vom Kessel nehmen“, indem Einkommensstarke in die Neubauten zögen und nicht mehr mit den Schwachen um den Wohnraum konkurrierten.
„Bei den Schwachen wird das nicht ankommen“, sagte Willi Laumann, der aus Kostengründen ins südliche Britz umgezogen ist. Es müsse eine Mietenbremse her, keine Neubauförderung. Mit dem Begriff Gentrifizierung kann er nichts anfangen. „Nicht die Nadelstreifenträger verdrängen die Anwohner, sondern die Mieten.“

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