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Berlin: Gehört so ein Bild hierher?

Am Brandenburger Tor hängt jetzt der Sozialpalast. Eine heiße Sache: „Mist“ finden die einen, „richtig“ die anderen

Von Malte Meinhardt

Erwin Lehmann geht immer wieder einen Schritt vor und äugt um die Ecke des Bratwurststandes. Der 56-jährige Weddinger schiebt seine Sonnenbrille hoch, kneift die Augen zusammen und blickt auf das Brandenburger Tor. Oder auf das, was davon hinter der Plane zu erahnen ist. „Also das passt hier nicht hin“, befindet er entschieden. „Warum hängen’se denn hier so’n Mist hin?“

Das neue Motiv, mit dem das Bauwerk jetzt verhüllt ist, provoziert und spaltet die Meinungen. Die Plane, die dem Pariser Platz zugewandt ist, trägt einen Fotoausschnitt des Schöneberger „Sozialpalasts“, mit viel Beton und Graffiti. Der Gebäudekomplex ist verrufen als Problemfall – mit Kriminalität, Gewalt, Vandalismus.

Und so etwas am schicken Pariser Platz? „Ich weiß nicht, ob so ein Bild hierher gehört“, sagt Kathleen Lütkemüller. Die Oberkellnerin des Hotels Adlon blickt bei ihrer Arbeit auf der Caféterrasse immer wieder auf das Bild. „Kunst sollte ja überall erlaubt sein. Aber viele der Gäste, die hier waren, fanden es nicht schön.“

Schön oder nicht – viele auswärtige Besucher sind vor allem erstmal ratlos. Familie Garbini aus dem italienischen Spoleto zum Beispiel. „Im unteren Bereich, das ist die Berliner Mauer, oder? Und oben sieht’s aus wie Plattenbau. Vielleicht soll es ausdrücken, dass man die Zukunft auf dem Vergangenen aufbaut?“ Den Sozialpalast kennen sie nicht. Auf jeden Fall hätten sie lieber das Tor oder zumindest ein Foto davon gesehen. Und auch Greg Ziomek und Jonathan Nicholas aus Florida können nur spekulieren, was auf der Plane zu sehen ist. Die beiden sprechen kein Deutsch. Damit bleiben ihnen auch die Erläuterungen zum Motiv auf den Tafeln rechts und links des Tores verschlossen. „Kunst verschiebt Ansichten“ steht dort doppeldeutig zu lesen.

Dass die Ansichten zu dem Kunstwerk geteilt sind, kann Katja Szymczak bestätigen, die in einem Stand neben dem Tor Informationen zum Werk des Künstlers Michel Majerus gibt. Seine Absicht war, „ein wirkliches Stück Berlin“ zu zeigen; Orte, für die sich niemand interessiert. Szymczak zufolge fänden es die meisten Besucher gut, dass „die vielen Gesichter der Stadt gezeigt werden“.

Zu ihnen gehört der 53-jährige Fred Franke, selbst Schöneberger, der gerade seine vier Freunde aus den Niederlanden über den Platz führt. „Meine Freunde fragen doch automatisch, was das ist. Wenn ich ihnen das dann erkläre, kommt man zwangsläufig darauf, welches Problem das Bild vermittelt. Der Platz sollte lieber noch öfter mit so heißen Sachen bestückt werden“, sagt er. Auch der Rudower Klaus Wolff findet es gut, dass man „mal zeigt, wie’s bei uns in Berlin noch aussieht“. Und er ergänzt: „Die da drüben“ – er nickt zum Adlon herüber – „sollten sich mal ’n paar Gedanken machen, wie die Leute im Sozialpalast wohnen müssen.“ Der pensionierte Polizist hat dort früher selbst Einsätze gehabt und weiß, wovon er spricht.

Auch die Berliner Petra Karadimas und ihr Mann Jimmy finden es gut, dass jetzt mal die „soziale Komponente“ an dem Bauwerk zu sehen ist, das schließlich als „Symbol für Berlin“ steht. Gerade weil man am Pariser Platz „alles so schick machen“ wolle, sei das Motiv hier genau richtig.

Noch aber ist der Pariser Platz nicht so schick, es hämmern Presslufthämmer vor den Bauzäunen. Erwin Lehmanns Tochter Karin arbeitet übrigens im Bratwurststand, der doch eigentlich kürzlich vom Pariser Platz verbannt werden sollte. „Also, unser Stand ist doch allemal schöner als die Verhüllung“, findet sie. Bald aber werden alle Wogen geglättet sein: Die aktuelle Verhüllung hängt bis zum 24. September, und ab 3. Oktober ist das Tor dann wieder im Original zu sehen.

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