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Berlin: Geld oder Klage

Ab 1. Januar soll ein neues Kündigungsschutzgesetz gelten. Damit wird der Personalabbau vereinfacht, die Abfindung erstmals geregelt – voraussichtlich

SONDERTHEMA: RECHT & STEUERN

Von Regina-C. Henkel

und Katrin Wilke

Es gibt Begriffe, die auf Arbeitgeber wie das berüchtigte rote Tuch wirken. „Gesetzlicher Kündigungsschutz“ ist so einer. Der greift nämlich für Mitarbeiter in Betrieben mit mehr als fünf fest Angestellten. So werden Chefs einmal eingestellte Arbeitnehmer nur noch mit Schwierigkeiten los, das derzeit geltende Kündigungsschutzgesetz (KSchG) knüpft Entlassungen an Form- und Fristbedingungen. Grund genug für fast jeden zweiten Unternehmer, kein zusätzliches Personal mehr einzustellen. Das jedenfalls hat eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter 20 000 Betrieben ergeben.

Auch im Vokabular der Bundesregierung spielt das Thema Kündigung eine wichtige Rolle. Um den Arbeitsmarkt anzukurbeln, hat der Bundestag bereits am 26. September – im Rahmen des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ und der Agenda 2010 – zahlreiche Änderungen im Kündigungsschutzgesetz beschlossen. Nach Überzeugung der Opposition reichen diese Lockerungen des Kündigungsschutzes jedoch nicht aus, um die Einstellungsbereitschaft der Unternehmer zu erhöhen. So verweigerte sie über den Bundesrat die Zustimmung zu dieser Novelle. Derzeit berät der Vermittlungsausschuss und muss sich bis Weihnachten äußern, damit der Bundestag – mit dann einfacher Mehrheit – entscheiden kann, in welcher Form das Gesetz zum 1. Januar 2004 in Kraft tritt.

Fachanwälten für Arbeitsrecht bereitet der Gesetzesentwurf allerdings einige Bauchschmerzen. Der Berliner Fachanwalt Andreas Buschmann etwa bezeichnet ihn zurückhaltend als „wenig effektiv“. Für seinen Kollegen Andre Sayatz, Partner der Kanzlei Baker & McKenzie in Mitte, weist das Arbeitsmarktreformgesetz sieben besonders wichtige Aspekte auf, deren Praktikabilität sich erst noch erweisen müsse:

Abfindungsregelung. Der neue Abfindungsanspruch, bei dem es ausdrücklich nur um die betriebsbedingte, nicht aber um die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung geht, ist auf den ersten Blick leicht zu verstehen: Der Arbeitgeber hat die freie Wahl, ob er eine Abfindung anbieten möchte – oder auch nicht (§ 1 a n. F. KSchG). Entscheidet er sich für die Abfindung, kündigt er den Arbeitnehmer mit dem Hinweis, dass es sich um eine betriebsbedingte Kündigung handelt und eine Abfindung in einer bestimmten Höhe anfällt, wenn der Arbeitnehmer nicht gegen die Kündigung klagt.

Der Arbeitnehmer bekommt also, wenn er innerhalb von drei Wochen keine Klage einreicht, die vom Arbeitgeber angebotene Abfindung automatisch – und nicht nur nach mühsamer Verhandlung mit dem Arbeitgeber, wie bislang. Die Höhe der Abfindung ist gesetzlich geregelt: ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Weicht der Arbeitgeber davon ab, muss der Arbeitnehmer der Abfindung ausdrücklich zustimmen.

Welche Tücken sich in diesen vordergründig einfachen Regelungen verstecken, erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick. Wenn nämlich ein Arbeitgeber die Kündigung nicht (wie vorgeschrieben) als betriebsbedingt kennzeichnet oder die gesetzliche Abfindung bei einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung zusagt (was vom Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen ist), wird es schwierig.

Befristete Beschäftigung. Sie wird für neu gegründete Unternehmen über das bisher erlaubte Maß hinaus erleichtert (§ 14 Abs. 2 a n. F. TzBfG). Diese können jetzt ohne Sachgrund befristete Arbeitsverhältnisse vereinbaren – bis zu zu einer Gesamtdauer von maximal vier Jahren.

Schwellenwert. Kleinbetriebe können demnächst bis zu fünf befristete Arbeitnehmer einstellen, ohne dass – für die bisherige Stammbelegschaft und die neu Eingestellten – das Kündigungsschutzgesetz gilt (§ 23 n. F. KSchG). So sollen Mikro-Unternehmen ausreichende Flexibilität behalten, um expandieren zu können. Arbeitgeber sollten aufpassen: Erweist sich bei einer Stammbelegschaft von fünf Mitarbeitern auch nur bei einem der befristet Angestellten der Arbeitsvertrag als unwirksam, weil die Befristung nicht ausreichend begründet ist, steigt die Stammbelegschaft auf sechs Mitarbeiter. Dann greift der Kündigungsschutz für alle Angestellten.

Arbeitslosengeld. Das Arbeitsmarktreformgesetz verkürzt die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und verschärft die Vorschriften zur Erstattung von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer (§ 147 a SGB III). Letzteres soll Betrieben den Anreiz versauern, ältere Arbeitnehmer noch innerhalb der zweijährigen Übergangsfrist auf Kosten der Solidargemeinschaft in den frühzeitigen Ruhestand zu entlassen – und sich so vor der Kostenerstattungspflicht zu drücken.

Sozialauswahl. Bei betrieblichen Kündigungen wird die Sozialauswahl auf die Grunddaten Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen begrenzt (§ 1 Abs. 3 Satz 1 n. F. KSchG). Damit ist für den Arbeitnehmer vorhersehbar, welche Kriterien Arbeitsgerichte bei der Überprüfung der Kündigung anlegen werden. Mitarbeiter können aus der Sozialauswahl auch wieder herausgenommen werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 n. F. KSchG). Dann nämlich, wenn ihre besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen für den Betrieb wichtig sind. Als Grund für eine leistungsbezogene Auswahl kann der Arbeitgeber also die Sicherung der Personalstruktur im Betrieb anführen.

Beweisführungspflicht. Im Interessenausgleich können Arbeitgeber und Betriebsrat (nach § 111 BetrVG) eine Liste der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer vereinbaren. Mit dieser Namensliste (§ 1 Abs. 5 n. F. KSchG) wird vermutet, dass Kündigungsgrund und Sozialauswahl des Arbeitgebers rechtlich korrekt sind. Im Umkehrschluss: Liegt eine solche Liste vor, muss der Arbeitnehmer im Prozess beweisen, dass die Kündigung unrechtmäßig ist.

Klagefrist. Das neue Gesetz enthält eine einheitliche Klagefrist von drei Wochen für alle Auflösungstatbestände (§ 4 n. F. KSchG).

Rechtsanwalt Andre Sayatz befürchtet nicht, dass er und seine Kollegen durch die neuen Gesetze in Zukunft weniger zu tun haben. „Alles in allem“, sagt er, „sind die Änderungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht nur geringfügiger Natur.“ Abgesehen von der Abfindungsregelung, „die den Schwierigkeiten in Kündigungsschutzverfahren nicht wirklich Abhilfe liefern wird“, würden die Änderungen aller Voraussicht nach den Spielraum der gerichtlichen Nachprüfung von Kündigungen einengen. Das heißt für Sayatz: „Wenigstens in Teilbereichen wird die Rechtslage überschaubarer werden.“

Regina-C. Henkel, Katrin Wilke

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