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Berlin: Geplante Hochstimmung

Die Stadt war ein Fahnenmeer – und selbst Public Viewing gab es 1936 schon. Zeitzeugen erzählen

Eine Million Menschen säumen die Marathonstrecke durch den Grunewald. Das Olympiastadion ist jeden Tag ausverkauft. Unter den Linden: ein Fahnenmeer, durch das Besucherscharen strömen. In der Innenstadt bilden sich Trauben von Menschen um Großlautsprecher, die in Echtzeit Wettbewerbe übertragen. Wer mehr will, geht in eine der 26 öffentlichen „Fernsehstuben“. Die Eintrittskarten gibt es kostenlos an allen Postschaltern. Die Bildschirme in den Fernsehstuben sind etwas klein. Besser sind die „Groß-Fernsehstellen“, Bildformat 100 mal 120 Zentimeter, im Reichspostministerium Leipziger Straße oder in der „Deutschland“-Ausstellung auf dem Messegelände. Public Viewing anno 1936.

Die Olympischen Spiele der Nazis waren ein perfekt organisiertes Propagandaspektakel nach innen und außen. Und so erfolgreich, dass nach ähnlichem Muster große Sportereignisse auch heute noch vermarktet werden. Die Atmosphäre in Berlin im August 1936 könne man durchaus mit der Fußball-WM 70 Jahre später vergleichen, meint Fritz Kohlmetz, 80jähriger Fußballfan und Augenzeuge des 100-Meter-Finalsiegs von Jesse Owens im Olympiastadion. „Man war stolz auf Deutschland – ganz ohne Hintergedanken.“

Kohlmetz war auch im Lustgarten dabei, als die Hitlerjugend aufmarschiert war, um den Fackelläufer zu begrüßen. „Das war sehr aufregend. Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, aus welcher Richtung die Flamme kommt.“ Sie kam aus dem Westen – geographisch eigentlich unlogisch, aber die Flamme sollte erst am nächsten Tag ins Stadion getragen werden, zur Eröffnungsfeier. Den Fackellauf vom griechischen Olympia bis nach Berlin hatte sich der Chef des Organisationskomitees Carl Diem ausgedacht. Seitdem gehört er fest ins Olympische Programm.

Der Medaillenspiegel wurde als große Tafel an Gebäuden angeschlagen und nährte die nationale Hochstimmung. Mit 89 Medaillen lag Deutschland weit vor dem Zweitplatzierten USA – so erfolgreich sollte eine deutsche Olympiamannschaft nie wieder werden. „Wir haben Radio gehört, von morgens bis abends“, erinnert sich Kohlmetz. Ilse Kleberger, damals 15, war nicht ganz so sportbegeistert. Sie ging lieber mit ihrer Kousine in die Stadt und spielte „Ausländer“. Die Mädchen warfen sich finnische Brocken zu und warteten, bis jemand sie ansprach, um seine Hilfe anzubieten. „Dann taten wir so, als würden wir nichts verstehen.“

Tatsächlich waren viele Ausländer, auch viele Schwarze, in der Stadt. Die Afroamerikaner fühlten sich wohler als in den USA, wo sie offen diskriminiert wurden. In Berlin galten sie als Exoten und ihre Siege in der Leichtathletik wurden auch in der deutschen Presse anerkannt. Dass Hitler ihm im Stadion nicht die Hand gab, hat Jesse Owens nicht als Rassismus gewertet. In seiner Biographie schrieb er, Hitler habe ihm zugewunken.

„Wir hofften, dass sich durch die Spiele gesellschaftlich vieles lockert und freier wird“, sagt Kleberger. Auch viele Juden sahen in den Spielen einen Hoffnungsschimmer. Judenfeindliche Schilder waren in der ganzen Stadt abgenommen worden. „Jüdische Väter gingen mit ihren Söhnen ins Olympiastadion“, erzählt Historiker Reinhard Rürup.

Die Olympischen Spiele 1936 galten noch bis weit in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein als eine der guten Taten der Nationalsozialisten – „ähnlich wie die Autobahnen“, so Rürup. Erst mit der Aufarbeitung durch die 68er-Generation trübte sich das Bild ein. Für die Nazi-Führung waren die Spiele nur ein weiterer Mosaikstein im großen Schlachtplan zur Germanisierung Europas. Aber genauso wie man die Autobahnen nicht abgerissen hat, darf man sich auch über sportliche Erfolge freuen, die in die Nazi-Zeit fallen.

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