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Das Sozialministerium hatte die gefundenen Akten über Jürgen B. eingesehen und ihn mit der Verpflichtungserklärung konfrontriert.

© dpa

Gerichtsurteil in Brandenburg: Stasi-Vergangenheit darf verschwiegen werden

Ein Brandenburger Landesbediensteter verschwieg seine Stasi-Zeit. Ein Gericht hob die Kündigung auf - ein Einzelfall?

Verschwiegene Stasi-Verstrickungen in Behörden müssen 27 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht mehr zur Entlassung führen. Das zeigt der Fall eines hochrangigen Landesbediensteten in Brandenburg – und wirft damit Fragen zum Fall Andrej Holm auf, den an der Humboldt-Universität wegen verheimlichter Stasi-Vergangenheit gekündigten Soziologen und kurzzeitigen Staatssekretär im rot-rot-grünen Berliner Senat. Brandenburgs Sozialministerium, geführt von der Linken-Genossin Diana Golze, hatte im Oktober 2016 den Vize-Chef des Landesinstituts für Rechtsmedizin fristlos, hilfsweise fristgerecht entlassen.

Jürgen B., 58, hatte nach der Wiedervereinigung in Brandenburg eine tadellose Karriere als Rechtsmediziner hingelegt. Nun wollte er sie krönen und bewarb sich auf den Posten des Direktors des Landesinstituts. Im Auswahlverfahren hatte er sich durchgesetzt, zum 1. November 2016 sollte er den Job übernehmen. Doch für Posten auf Ebene von Behördenleitern wurde 2012 in Brandenburg nach einer Welle von Stasi-Enthüllungen in Politik und Behörden ein Stasi-Check eingeführt – B. flog deshalb auf.

Deckname "Paul"

1991 hatte B. auf einem Personalfragebogen eine Tätigkeit als „Inoffizieller Mitarbeiter“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verschwiegen – aus Angst, nicht übernommen zu werden. Bei einem Personalgespräch im Sozialministerium im Oktober 2016 verschwieg er erneut seine Tätigkeit als IM, Deckname „Paul“. Er war sogar ausdrücklich nach einer Verpflichtungserklärung gefragt worden, verneinte dies aber.

Erst als die Verantwortlichen im Sozialministerium ihm seine bei der Stasi-Unterlagenbehörde erst jetzt gefundene, 40 Seiten dicke Akte vorlegten, räumte er Spitzeldienste ein. Das Sozialministerium sah wegen der zweifachen Stasi-Lüge das Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört.

Täuschung nicht so dramatisch

B. klagte gegen seinen Rausschmiss, nun hob das Arbeitsgericht Potsdam die fristlose wie fristgerechte Kündigung auf. In diesem Einzelfall wiege die Verstrickung als „Inoffizieller Mitarbeiter“, aber auch die zweifache Lüge gegenüber dem Dienstherrn weniger schwer als seine Verdienste nach der Wende am Landesinstitut. Aus Sicht des Gerichts war die IM-Tätigkeit von Jürgen B. nicht so dramatisch, deshalb habe das Land ihm auch die zweifache Täuschung 1991 und 2016 sowie das Verschweigen der Spitzeldienste nachsehen können. Allerdings würdigte das Gericht die frühere Stasi-Tätigkeit dann doch indirekt, indem es den Antrag des Rechtsmediziners auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zurückwies. Nun wird wohl das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg angesichts der zu erwartenden Berufung des Sozialministeriums endgültig entscheiden müssen.

Angeworben wurde IM „Paul“ wegen seiner „politisch-ideologischen Überzeugung“. Noch im September 1988, ein Jahr vor der Friedlichen Revolution, unterzeichnete B. eine Verpflichtungserklärung zur „politischen-operativen“ Durchdringung an seinem Arbeitsplatz. Auch vor Gericht spielte er die Spitzelei herunter. Er habe sich mit seinem Führungsoffizier nur unterhalten und damals mit Ende 20, von 1988 bis Herbst 1989, aus dem Zentralen NVA-Militärkrankenhaus in Bad Saarow nur Informationen weitergegeben, die dort bekannt gewesen seien.

Holm hatte sich nicht distanziert

Auch Andrej Holm klagt gegen seine Entlassung an der Humboldt-Universität. HU-Präsidentin Sabine Kunst hatte ihn fristgemäß zum 30. Juni 2017 gekündigt. Der Grund: arglistige Täuschung, fehlendes Bedauern über die Stasi-Lüge und sein Beharren auf Erinnerungslücken. Holm hatte bei seiner Einstellung 2005 nicht seine hauptamtliche Tätigkeit als Offiziersschüler der Stasi, sondern nur eine Grundausbildung beim Stasi-Regiment „Feliks Dzierzynski“ angegeben. Seine Arbeit bei der Stasi hat für Kunst bei der Entscheidung nach eigenen Angaben keine Rolle gespielt. Aber Holm sei nicht bereit gewesen, „seine Falschangaben“ einzuräumen und sich davon zu distanzieren.

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