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Berlin: Geschichten mit Drive

Von Christian Domnitz Frank und Zodan stehen nachts um drei frisch gekämmt vor einem Friedrichshainer Hotel. Sie warten auf das Taxi.

Von Christian Domnitz

Frank und Zodan stehen nachts um drei frisch gekämmt vor einem Friedrichshainer Hotel. Sie warten auf das Taxi. Die beiden Freunde aus Gütersloh und Bielefeld müssen unbedingt zum Hamburger Bahnhof, denn ein Freund von ihnen ist DJ, er legt da auf, sagen sie. Auf der Fahrt beklagen sie, dass zur Love Parade ein beträchtlicher Männerüberschuss herrscht. Hoffnung gibt den beiden, dass die Nacht nach der Love Parade noch lange nicht vorbei ist. Es sind viele Raver, die das hoffen. Ihre Geschichten hört man in einem Taxi. Die Protagonisten erzählen sie im Fahrzeug Nummer 2071, Fahrer und Zuhörer ist der Ethnologiestudent Tino Kotte.

Diese Nacht in einem Taxi, das ist besser als jede Tanzparty. In einem Taxi kommen sich die Menschen näher als auf heißen und lauten Raves. Dann, wenn der Schweiß gerade getrocknet ist und die Muskeln nicht mehr zucken.

Ein Mann, er stieg an der Oranienburger Straße ein, weist mit den Fingern den Weg durch Mitte, weil er die Straßenn nicht kennt. Er sei auf der Parade gewesen, sagt er, danach war es ihm aber genug Techno für diesen Tag, und er vergnügte sich auf einem Tango-Abend. Nun will er einen Freund besuchen. Der wohnt hinter dem Alex in einer kleinen Straße, deren Namen wirklich niemand kennt.

Die auf dem Display blinkenden Aufträge zeigen die Straßennamen, die Orte, wo etwas los ist. Taxis und Menschen vor dem Club „Ostgut“ am Ostbahnhof. Ständige An- und Abfahrten am Freiluft-Rave im Volkspark Friedrichshain, ein junger Pole steigt ein: Oh nein, jetzt bitte bloß kein Gespräch, er ist fertig, er ist müde, er braucht Ruhe. Er fährt zum Rosa-Luxemburg-Platz.

Kevin Voß ist der einzige Passagier, der mit Techno gar nichts zu tun haben wollte. Trotzdem hat es ihn erwischt, beim Autofahren. Die Bässe kamen von hinten, erzählt er. Erst leise, dann lauter, und dann krachte ihm ein Cabrio hinten rein. Der Fahrer hatte rot gefärbte Haare und sah aus wie ein Halbwüchsiger. Jetzt steht das Techno-Opfer mit einer Halskrause und Röntgenbildern unter dem Arm vor dem Elisabeth-Krankenhaus in Tiergarten. Er will schnell nach Hause, nach Hohenschönhausen und erzählt von dem fast bewusstlos eingelieferten Raver mit der Platzwunde am Kopf, der unablässig versuchte, die ihn versorgende Krankenschwester zu umarmen und sich die Sachen vom Leib zu reißen.

Drei Italiener winken am Alexanderplatz, sie wollen zu ihrem Hotel an der Landsberger Allee. Vor dem Eingang warten schon drei frierende Raver im Wind. Sie haben eine Stunde geschlafen, und sie fühlen sich jetzt frisch genug, um weiter zu feiern. Cindy, Chris und Francois kommen aus Breeda in Holland. Für jede Love Parade denken sie sich einen neuen Spruch aus, den sie sich dann durch die Tanzhölle zurufen. Diesmal ist es „laffe muziek“, feige Musik - für die Momente, wo es nicht zur Sache geht. Im vorigen Jahr war es „lekker vies!“ - gemein und doch gut. Als die drei auf dem „Love Airport“ Tempelhof ankommen, dämmert es.

Das Taxi beschützt vor der Nacht, es beschützt mit Schaumfestiger in Form gebrachte Frisuren. Es schützt vor verpassten Straßenbahnen, und es schützt nackte Haut vor Kühle und gierigen Blicken. Der Conferencier vorne links bewahrt auch manchmal müde Herzen vor dem Hangover. Wie bei der schönen Mitfahrerin vom frühen Abend, von der Taxifahrer Tino Kotte besonders gern erzählt. Erst wollte sie nicht nur vom Friedrichshain zum Tresor in Mitte fahren, sondern auch seine Handynummer haben.

Dann wollte sie vom Tresor nach Hause gebracht werden. Oder lieber doch noch zusammen mit dem Fahrer auf einen Tanz in den Sage Club? - „Und dann habe ich gesagt: ,Sorry, ich muss wirklich arbeiten’.“ Die besten Geschichten erzählen Taxifahrer - auch wenn sie kein Happy End haben.

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