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Geschlossene Heime: Erziehung hinter Mauern und Panzerglas

Weil seit Tagen dealende Kinder in Berlin aufgegriffen werden, ist die Diskussion um geschlossene Heime neu entbrannt. Wie sinnvoll sind solche Einrichtungen?

In den vergangenen Tagen wurden in Berlin mehrfach Kinder beim Drogenhandel erwischt. Einen Elfjährigen, dessen genaue Herkunft noch nicht klar ist, griff die Polizei am Wochenende bereits zum elften Mal auf, am Montag wurde ein polizeibekannter 13-Jähriger ohne festen Berliner Wohnsitz erwischt und dem Kindernotdienst übergeben – er entfloh noch am selben Abend. Weil offene Heime solche Kinder offensichtlich nicht angemessen betreuen könnten, hat Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die Einrichtung geschlossener Heime verlangt.

Wie sieht die Heimstruktur in Berlin aus?

Anfang der 90er Jahre hat Berlin seine geschlossenen Heime abgeschafft. Bis auf die Union waren alle Parteien gegen solche Einrichtungen. Hochgradig delinquente Kinder wurden in von Wald umgebene Häuser nach Brandenburg geschickt. Die Senatsverwaltung für Bildung hat mit mehr als 100 Trägern Verträge über etwa 4800 mehr oder weniger offene Plätzen abgeschlossen.

Wann ein Kind in ein Heim kommt, entscheidet das zuständige Jugendamt auf Antrag der Eltern oder des amtlichen Sorgeberechtigten. Sofern eine akute Gefährdung des Kindswohl vorliegt, kann das Jugendamt auch gegen den Willen der Eltern das Kind in Obhut nehmen.

Welche Erfahrungen gibt es mit geschlossenen Heimen in Deutschland?

Bundesweit gibt es 25 Einrichtungen mit rund 350 Plätzen. Nur vier Bundesländer haben geschlossene Heime: Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. In den 70er Jahren gab es bundesweit noch rund 1000 Plätze – die meisten wurden geschlossen. Laut einer Studie verlaufe die Entwicklung bei 70 Prozent der Jugendlichen nach einem Jahr positiv, sagt Markus Enser, der in Bayern die geschlossenen Gruppen der Jugendhilfe Rummelsberg leitet. Sprich: 30 Prozent werden zu diesem Zeitpunkt rückfällig. Aus seinen Gruppen würden zudem erfahrungsgemäß 80 Prozent einen Schulabschluss schaffen.

Wie läuft die Arbeit in den Heimen ab und was hat sich in den Jahren verändert?

Ziel geschlossener Heime ist es, sozial extrem auffällige oder kriminelle Kinder und Jugendliche auf Zeit aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld zu entfernen. Die Unterbringung in einem geschlossenen Heim soll ihnen durch einen strukturierten Tagesablauf und strikte Regeln einen Rahmen für Verhaltensänderungen geben. An dieser Verlässlichkeit, die sie bisher kaum erlebt hätten, könnten sie sich neu orientieren und ein sozial akzeptiertes Verhalten lernen, sagen Experten.

Tatsächlich ist der Tag für Jugendliche in der geschlossenen Unterbringung „durchgeplant“, sagt Markus Enser von der Jugendhilfe Rummelsberg. In Ensers Gruppen werden derzeit 19 Jungen im Alter von elf bis 16 Jahren betreut. Sie stehen morgens um halb sieben auf, es folgt ein gemeinsames Frühstück, Aufräumen und Abwaschen, um die „Alltagsbewältigung“ zu trainieren, wie Enser sagt. Von acht bis eins werden die Jungen in speziellen Schulklassen unterrichtet. Nachmittags machen die Jungen erst gemeinsam Hausaufgaben, dann Aktivitäten wie Schwimmen, Radfahren oder Fußballspielen. Die meisten müssten erst lernen, wie „sie ihre Freizeit sinnvoll gestalten“.

Nachmittags arbeiten zudem Psychologen mit den Jugendlichen, immer wieder werden auch Strategien zur gewaltlosen Konfliktbewältigung eingeübt. Bettruhe ist um halb zehn abends. In den ersten sechs Wochen dürfen die Jungen das Haus gar nicht verlassen, Türen und Fenster können nur von Mitarbeitern geöffnet werden. Danach folge ein „Stufenplan“, sagt Enser: Durch gutes Verhalten könnten sich die Jungen Ausgang „erarbeiten“. Normalerweise bleiben sie anderthalb bis zwei Jahre in Rummelsberg.

Alle geschlossenen Heime, die sie im Rahmen einer 2006 und 2010 veröffentlichten Studie über „freiheitsentziehende Maßnahmen“ gesehen hat, bieten eine solche intensive sozialpädagogische und psychologische Betreuung, sagt Sabrina Hoops vom Deutschen Jugendinstitut in München. Helfen könnte die Unterbringung aber nur, wenn die Jugendlichen die Zwangsangebote der Heimerzieher freiwillig annehmen, heißt es in der Studie.

Von der „schwarzen Pädagogik“, die die Heimerziehung bis in die 80er Jahre geprägt habe, seien die heutigen Einrichtungen weit entfernt, sagt Christian von Wolffersdorff, emeritierter Professor für Sozialpädagogik von der Universität Leipzig. Was Peter Wensierski in seinem 2006 erschienenen Buch über „Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik“ beschreibt, habe auch für die geschlossenen Heime gegolten. In „Knaststrukturen“ seien die Jugendlichen repressiven, obrigkeitsstaatlichen Erziehungsmethoden ausgesetzt gewesen, die oft mit körperlichen Züchtigungen und teilweise mit sexuellem Missbrauch einhergegangen seien, sagt Wolffersdorff. Aber auch von den neueren geschlossenen Heimen hält er nicht viel. Mauern und Panzerglas passten nicht zu den guten pädagogischen Absichten der Heime. Sie stigmatisierten die Jugendlichen und forderten zu Widerstand und Ausbruchsversuchen heraus. Ein strukturierter Tagesablauf und klare Regeln könnten auch in gut ausgestatteten offenen Heimen vermittelt werden. Wichtig sei eine pädagogische und psychologische Eins-zu-eins-Betreuung.

Welche Probleme gibt es mit kriminellen Kindern aus dem Ausland?

Kriminelle Kinder aus dem Ausland finden sich in Deutschland immer wieder und stellen die deutschen Behörden vor ein bisher unlösbares Problem: Weder kann man die Minderjährigen einfach zurückschicken noch kann man sie festhalten und für ihre Straftaten belangen. In manchen Ländern hat sich herumgesprochen, dass Kindern in Deutschland nichts passiert, wenn sie Straftaten begehen, erklärt ein Polizeisprecher. Die Kinder werden zwar von der Polizei vernommen, haben aber meist keinen Ausweis dabei und nennen ihren Namen nicht. Sie werden von den Sicherheitsleuten im Kindernotdienst abgegeben, bekommen ein Bett und eine warme Mahlzeit. Von dort können sie jederzeit wieder los.

Allerdings ist es den Berliner Behörden zum Beispiel gelungen, gegen das Phänomen „Kinderdiebe“ anzugehen. Bis 2007 registrierte die Polizei hier jedes Jahr zahlreiche Kinder aus osteuropäischen Ländern, die saisonal als Taschendiebe unterwegs waren. Doch viele der Täter, die sich als unter 14-jährige Kinder ausgaben, waren in Wirklichkeit über 14 Jahre alt. Nachgewiesen werden konnte das denn Tätern durch ein ärztliches „Altersgutachten“, dass allerdings nur mit einem Richterbeschluss durchgeführt werden darf. Seit immer mehr ausländische Jugendliche für ihre Taten belangt wurden, zählt die Berliner Polizei „so gut wie keine Kinderdiebe“ mehr.

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