zum Hauptinhalt

GESTERN, HEUTE: Wald, Wiese, Wohnungsbau

ZEITREISEWarum eigentlich Spree-Center? Der Fluss fließt bekanntlich durch Berlin, und Hellersdorf ist ein Teil davon.

ZEITREISE

Warum eigentlich Spree-Center? Der Fluss fließt bekanntlich durch Berlin, und Hellersdorf ist ein Teil davon. Aber das dem Einkaufsparadies im Ortsteil Kaulsdorf-Nord am nächsten liegende Gewässer ist nun mal die Wuhle. Deren Wellen finden sich stilisiert im Bezirkswappen von Marzahn-Hellersdorf, Qualitäten als Namensstifterin eines Centers traute man ihr nicht zu. Noch zur Wende fiel der Blick eines Busfahrers, der, auf der Hellersdorfer Straße von Norden kommend, durch das Plattenbauviertel rollte, auf eine zweigeteilte Szenerie: links spätsozialistische Betongebirge, durch den U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord und eben die Busse der Ost-Berliner BVB immerhin gut erschlossen; auf der andere Straßenseite Brachgelände, Reserveflächen fürs weitere Wuchern des Stadtrandes. Man findet das Foto in Thomas Uhlemanns Bildband „Berlin-Ost: Das letzte Jahrzehnt“ (Sutton-Verlag, Erfurt). Klar, dass die Freifläche nach der Wende die Investoren anlockte. Die Folge ihres Wirkens ist das Spree-Center, gut 50 Geschäfte auf 14 000 Quadratmeter Verkaufsfläche, Restaurants, Ärzte, Anwälte, Krankenkasse – die übliche Mischung.

JUNG UND ALT

Das Viertel mit den Hochhäusern entstand erst in den achtziger Jahren, ist also jung. Das galt zur Wende auch für seine Bewohner. 33,5 Prozent der Hellersdorfer waren laut dem ersten Einwohnermelderegister für Ost-Berlin von 1991 unter 18 Jahre alt. Im Juni 2007 waren es nur noch halb so viele: 15,6 Prozent. Die Zahl der Einwohner sank seit 1995 – von 136 101 auf 119 900 heute. Der Anteil der über 60-Jährigen stieg von 7,5 Prozent im Jahr 1991 auf heute mehr als den doppelten Anteil (18 Prozent).

DER NACHZÜGLER

Auch geografisch spielt der Bezirk Hellersdorf eine besondere Rolle: Das Areal, auf dem die Neubauten entstanden, gehörte zur Gemeinde Hönow, also zu Brandenburg – das Viermächteabkommen untersagte allerdings, die Stadtgrenzen zu verschieben. Erst seit 1990 gehört dieser Teil Hellersdorfs auch zu Berlin.

ALTE PLÄNE, NEUES ZENTRUM

Der Planungsaufwand für die Trabantensiedlung war enorm: Aus allen DDR-Bezirken reisten Architekten an und versuchten sich an der sozialistischen Siedlung. Doch als die Mauer fiel, war das „größte Wohnungsbauprojekt Europas“ längst nicht fertig und von einem Stadtteilzentrum keine Spur. Darauf mussten die Hellersdorfer noch bis 1997 warten, als die „Helle Mitte“, nach dem Potsdamer Platz jahrelang zweitgrößte Baustelle der Stadt, endlich eröffnet wurde und Hellersdorf seine City bekam.

ABFALL STATT STREUSAND

Hellersdorf nur mit Betongebirgen gleichzusetzen, wäre aber unzutreffend. Der Ortsteil Kaulsdorf mit seinen Wald- und Wiesenflächen und den Einfamilienhäusern zeigt einen ganz anderen, vergleichsweise idyllischen Charakter, Ähnliches gilt für Mahlsdorf – einen Ort, der zudem wie kaum ein zweiter den familiären Feierabend in der DDR prägte: Im ehemaligen Kino „Lichtburg“ am Hultschiner Damm wurde von 1959 bis nach der Wende das Ost-Sandmännchen produziert, das im Gegensatz zu seinem West-Kollegen überlebte und mittlerweile nach Potsdam-Babelsberg umgezogen ist. Mahlsdorf ist dennoch einmalig geblieben: Hier errichtete 2005 das Unternehmen Alba, spezialisiert auf Abfallentsorgung, die modernste Recyclinganlage Europas. LITERATUR

So aufregend das Leben im Zentrum einer Metropole ist, viele bevorzugen doch eine Wohnung in Randlage, fühlen sich womöglich sogar in den dort aufgetürmten Wohnburgen wohl. In dem nur noch antiquarisch erhältlichen Band „Peripherie als Ort. Das Hellersdorf-Projekt“ von Ulrich Domröse und Jack Gelfort (Arnoldsche Verlagsanstalt) haben vier Fotografen die Veränderungen nach der Wende abgebildet, ergänzt durch betont subjektive Texte von drei Autoren, darunter der Schriftsteller Rolf Schneider. Den architekturhistorischen Gegenpol im Stadtteil nimmt das Gründerzeitmuseum im Gutshof Mahlsdorf ein, geschaffen von Charlotte von Mahlsdorf, dem berühmtesten Transvestiten der DDR, wenn nicht Deutschlands. Man kennt ihn sogar jenseits des Atlantiks, seit der Autor Doug Wright Charlotte von Mahlsdorfs Autobiografie „Ich bin meine eigene Frau“ (dtv) zu seinem Broadway-Hit „I Am My Own Wife“ umdichtete – auch hierzulande ein Erfolg. ac/AG

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false