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Berlin: Gesunder Käufer gesucht – in bester Lage

Eine Immobilie wie keine: Berlin wirbt um Investoren für Klinik-Ensemble gegenüber der Museumsinsel

Helga Siegel kann sich noch genau an den Ort am Ende der Tucholskystraße erinnern, wo ihr Sohn Matthias geboren wurde: „Da war ein riesiger Kreißsaal mit einer beachtlichen Akustik, eine Frau schrie, dass einem angst und bange werden konnte. Zur gleichen Zeit verblutete ein paar hundert Meter weiter westlich der junge Flüchtling Peter Fechter, erschossen an der Mauer im Niemandsland am Checkpoint Charlie. Es war der 17. August 1962. Und eine Hebamme sagte, auf jedem Arm ein Neugeborenes: Bringt nur immer Jungen auf die Welt, damit sie andere erschießen können.“

Die Landesfrauenklinik der Charité gibt es an dieser Stelle längst nicht mehr. Im einstigen Kreißsaal sind wissenschaftliche Institute untergebracht, am halbrunden Eingang zu dem braunen Putzbau aus den fünfziger Jahren in der Tucholskystraße 2 haben sie Graffiti („Fuck USA“) gesprüht, die Pförtnerloge ist leer, aber in dem weitläufigen Bau herrscht Leben, wird getüftelt, geforscht, gelernt und gedacht – 14 Institute haben hier ihre Heimat, Büros und Labore, „Vorkliniken“ der Charité, also Lehr- und Forschungsstätten (für Psychologie, Immunologie, Rheumatologie, Immunologie, Biochemie, experimentelle Chirurgie), dazu eine medizinhistorische Instrumentensammlung und ein Hörsaal, in dem einst Professor Sauerbruch seine Vorlesungen gehalten hat. Die weitverzweigten Flure, zahllose Zimmer, selbst der Keller mit seinen verschachtelten Gängen machen einen gleichermaßen antiquierten wie sauberen Eindruck. Am Eingang zum linken Trakt hängt ein Telefon, darunter das Schild „Lautes Klopfen und Hämmern ist störend und wird ignoriert!!!“ Bizarr sind auch die Gebrauchsanweisungen an diversen Türen: „Wenn das Schloß beim Öffnen mehrmals hintereinander piept, ist das ein Zeichen dafür, daß der Akku im Schloß nachlässt und sich die Tür in absehbarer Zeit nicht mehr öffnen wird. In diesem Falle bitte die Haushandwerker verständigen.“

Dieses Haus, ja, das komplette Klinikgelände mit seinen 12 500 Quadratmetern Größe und einer Bruttogeschossfläche von 20 650 Quadratmetern soll nun verkauft werden und ist vom Liegenschaftsfonds Berlin zum „Objekt des Monats“ erklärt worden. Das Karree hat die Adressen Tucholskystraße 2, Ziegelstraße 14–19 und Monbijoustraße 2. Es liegt ideal nahe Friedrich- und Oranienburger Straße, zum Teil direkt an der Spree gegenüber dem Bode-Museum. Am Ida-Simon-Haus von 1900 rankt sich wilder Wein über die Fassade, an der acht Balkons kleben, sie geben dem Ganzen italienisches Flair. Im Exposé des Liegenschaftsfonds wird darauf verwiesen, dass das Grundstück mit seinen zwei- bis sechsgeschossigen Gebäuden und mehreren Höfen voraussichtlich noch bis Anfang 2010 durch das Zentrum für experimentelle Medizin der Charité genutzt wird. Die Charité möchte, sagt deren Immobilienverantwortlicher Harald Lehmann, ihre Außenstandorte, die über die ganze Stadt verteilt sind, peu à peu aufgeben und auf die drei Campus Benjamin Franklin, Charité und Virchow-Klinikum ziehen. Man kann sich auch den Neubau auf Ersatzflächen vorstellen, die Finanzierung könnte durch Teile des Erlöses beim Verkauf des Geländes realisiert werden – wenn sich nicht der Finanzsenator ob der am Horizont schimmernden Einnahmen schon die Hände reibt. Denn das ganze Objekt gehört der Stadt Berlin, für die der Liegenschaftsfonds als größter Immobilienvermarkter tätig ist, in fünf Jahren hat er rund 6,5 Millionen Quadratmeter Fläche aus Landesbesitz für mehr als eine Milliarde Euro verkauft.

Hier nun gibt es ein Bieterverfahren, bei dem niemand verrät, wie teuer das Gelände eigentlich ist. Irina Dehne vom Liegenschaftsfonds sagt, jeder Interessent könne sein Gebot bis zum 20. November abgeben, dann würde man sehen, wem das Areal am meisten wert sei. Die Berliner stellen ihr Objekt sogar bei der Expo-Real in München zur Schau, das Verkaufsinteresse soll ein internationales Echo haben.

Wie, fragt man sich, kann das teils marode, teils attraktive Objekt genutzt werden? In der Ausschreibung heißt es: „Im Flächennutzungsplan wie auch in der Bereichsentwicklungsplanung ist das Grundstück als ,Sondernutzung Krankenhaus‘ ausgewiesen. Nutzungen gem. § 6 Abs. 1 BauNVO sind möglich, d. h. Wohnen und Gewerbe, die das Wohnen nicht wesentlich stören, sowie kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Nutzungen.“ Das Areal in der Pufferzone der in der Weltkulturerbeliste aufgeführten Museumsinsel verträgt nicht alles, aber ein betreutes Wohnen in idealer Lage ist ebenso möglich wie ein Forschungslabor, eine Umweltwerkstatt oder eine stille Insel der Bildenden Künste.

Interessenten geben sich schon jetzt die Klinken in die Hand trotz der Tatsache, dass das Ensemble unter Denkmalschutz steht. Ist das der Pferdefuß? Behindert es den Verkauf? Die Noch-Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, verneint das ganz entschieden, im Gegenteil: „Investoren, die den Wert eines Denkmals zu schätzen wissen, haben stets größere Chancen als die, die einen 08/15-Bau im Sinn haben. Dies hier ist ein Liebhaberstück mit besonderem Standortimage, und wer da unbedingt rein will, der zahlt auch einen ordentlichen Preis“.

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