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kreuzberg

© Johannes Löwe

Gewalt: Wer liegen bleibt, hat verloren

Sie schlagen sich, sie sind brutal, sie finden das normal. Zu Besuch in einer fremden Welt – in Kreuzberg

Es klingt wie Schnitzelklopfen. Paff, paff, paff. Wenn die Fäuste von Mahmoud auf das Kinn seines Gegners einschlagen, hallt es durch den Hinterhof. Wenn Knochen und Fleisch aufeinanderprallen, johlt die um die Kämpfenden im Kreis stehende Menge. „Mach weiter, du Opfer!“, brüllt einer heraus. Drei Treffer ins Gesicht, gefolgt von einem Leberhaken. Die Stirn von Jamal, dem Gegner, schwillt an und rötet sich, aus der Nase quillt Blut. Er macht weiter.

Berlin-Kreuzberg am Nachmittag. Heute übt eine Gruppe Jugendlicher für den „Straßenkampf“, wie sie das nennen. Was das ist? Straßenkampf ist, „wenn jemand meine Familie beleidigt. Oder meine Ehre“, wird es Mahmoud später zusammenfassen. Straßenkampf kann aber auch bedeuten, dass einer der Jungs einem Klassenkameraden das Handy mit Gewalt wegnimmt, ihn „abzieht“, wie die Kids sagen. Der Straßenkampf hat viele Gesichter, ist ein dehnbarer Begriff, so dehnbar wie Kaugummi. Jetzt gerade hat er eben die Gesichter von Mahmoud, 18 und Jamal, 15. Noch immer schlagen die beiden aufeinander ein. Und der Rest wartet auf seinen eigenen Einsatz. Sie sind alle Schlesier hier – so nennen sie sich, weil sie rund um den Kiez am Schlesischen Tor aufgewachsen sind. Die Mehrheit von ihnen sind libanesische Kurden. Aber auch Araber, Türken und Albaner können Schlesier sein. Fast alle sind Muslime.

Manche filmen die Fights mit ihren Handys

Zum Kampf gibt es Musik. Die Schläge passen sich dem treibenden Rhythmus an. Der 15-jährige Jamal holt auf. Er landet ein paar gezielte Schläge aus dem Clinch, die er auf Mahmouds Hinterkopf platziert. Das hat er in seinen sieben Jahren im Kickbox-Verein gelernt. Eigentlich hat er dort auch gelernt, dass er sein Wissen auf der Straße nicht anwenden darf. Im Nahkampf hat Mahmoud keine Chance, denn er hat das Kämpfen nur auf der Straße gelernt, technisch ist er unterlegen. Er geht zu Boden. „Mach weiter“, schreien seine Freunde. Testosteron liegt in der Luft. Auf dem Bolzplatz stehen etwa 60 Leute. Neben den Jugendlichen sind auch viele Kleine dabei, fünf-, sechs- und siebenjährige Mädchen und Jungs. Sie sitzen mit offenen Mündern auf der Latte des Fußballtors, manche filmen den Fight mit ihren Handys. Ihre Mütter stehen in gebührendem Abstand dahinter.

Die Regeln für den Kampf sind vage: keine Waffen, nicht beißen, nicht an den Haaren ziehen, auf niemand am Boden Liegenden einschlagen, keine Tiefschläge. „Die Eier sind das Wichtigste, was ein Mann hat“, sagt Mahmoud. Verloren hat, wer wie er niedergeschlagen wird und liegen bleibt, oder die Menge bestimmt nach drei gefühlten Minuten einen Sieger. Meist ist sie sich einig. Manchmal wird mit Boxhandschuhen gekämpft, manchmal nur mit Bandagen, manchmal ohne.

Erfahrung sammeln für den nächsten Straßenkampf

Das improvisierte Turnier geht weiter. Jetzt muss Jamal gegen den gleichaltrigen Yusuf antreten. Es kämpft ein französisch-marokkanischer junger Mann gegen einen ägyptisch-mosambikanischen Jugendlichen. Weil auch Yusuf im Verein Taekwondo trainiert, haben die beiden vereinbart, dass nun auch Fußtritte erlaubt sind. Vor dem Kampf küssen sich beide dreimal auf die Wange, dann schlagen sie mit den Fäusten aufeinander ein. „Der ist für mich wie ein Bruder, mein bester Freund. Gegen den kämpfe ich nicht gerne“, hat Yusuf vorher gesagt. Er beginnt den Fight mit einem Drehkick, der in Jamals Bauchdecke landet. Der wiederum antwortet schnaubend mit einer Rechts-Links-Kombination und schickt einen seitlichen Drehkick hinterher. Am Ende hat Yusuf gewonnen. Oder auch Jamal. So genau weiß das diesmal keiner. Beide finden, dass sie selbst gewonnen haben. An Erfahrung für den nächsten Straßenkampf.

Mit breiter Brust und Schweißflecken auf dem Rücken marschieren die Kämpfer und Zuschauer danach in ein nahe gelegenes Café. Es gehört ihrem Kumpel Walid, dort rauchen sie immer Wasserpfeife für 4,50 Euro und trinken Cola. Walid boxt und hat eine vierschrötige Figur. Er trägt ein Armani-Shirt, das viel zu klein aussieht und seinen Bauch noch mächtiger erscheinen lässt. Walid boxt im Verein. Auch er hat seinen Kampf heute gewonnen.

Mahmud zieht an der Pfeife und saugt den Weintraubendampf tief ein. „Ich bin stolz, wenn ich gewinne“, sagt er. Damit gewinne er den nötigen Respekt für die Straße. Er wurde mehrmals angezeigt wegen schwerer Körperverletzung. Damals war er noch nicht 18. Die härteste Strafe waren vier Wochen Jugendarrest in der Jugendhaftanstalt Kieferngrund. Er hat einen Russen niedergestochen, der angeblich seine Schwester küssen wollte. „Ich musste die Ehre der Familie verteidigen. Ich bin stolz, dass ich es getan habe“, meint Mahmoud mit blitzenden Augen und schiebt ein „Wallah“ hinterher, was so viel heißt wie „in Gottes Namen schwöre ich“. Yassin gibt ihm recht: „Auf der Straße musst du ein Mann sein.“ Auch er saß nach etlichen Anzeigen schon im Jugendarrest und bekam 60 Stunden soziale Arbeitsstunden aufgebrummt. Früher habe er gerne andere Jugendliche abgezockt: Wer ihm nicht freiwillig Handy oder MP3-Player aushändigte, habe Prügel bekommen. Heute rappt Yassin lieber: „Es war ein Fehler, dich mit mir anzulegen. Diesen Tsunami wirst du nicht überleben.“ Wieder johlt und feixt die Menge. Dichte Schwaden durchziehen den Raum. Mit Deutschland habe er schon lange abgeschlossen, sagt Yassin.

"Die Familie ist bei uns alles"

„Die schöne Souad, meine Mutter“, tönt aus den Boxen im Café, ein ruhiges Lied von Rashid Mousa, einem libanesisch-kurdischen Sänger. „Die Familie ist bei uns alles“, sagt Mahmoud. Er will, dass seine Eltern stolz auf ihn sind. Ein Job als KFZ-Mechatroniker ist das Ziel. Aber mit einem Abschlusszeugnis voller Fünfen, seinen mangelnden Deutschkenntnissen und Vorstrafen ist das ziemlich schwierig. Mahmud hat sanfte braune Augen, wenn er nach dem Kampf mit einem spricht. Nur eine hochgezogene Braue kündigt dann Gefühlsregungen an. Er sagt, er sei stolz auf seine Taten, aber irgendwie klingt das wenig überzeugend. Und die Zukunft? „Ich weiß es nicht. Aber Gewalt wird immer eine Rolle in meinem Leben spielen.“

Bei dem Thema horcht Jamal auf, der bislang wortlos dabei saß. Ohne Gewalt gehe es nun mal nicht, sagt er, aber er wolle später auch nicht von Hartz IV leben. Er war sogar mal ein Jahr auf dem Gymnasium, bevor sie ihn wieder degradierten. Was er einmal werden möchte? „Vielleicht Kriminalkommissar oder Bodyguard. Irgend etwas, das mit Schlagen zu tun hat und wo man viel Geld verdient.“ Dann ist er wieder still und zieht an der Wasserpfeife.

Christoph Wöhrle

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