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Berlin: Gibt’s nicht, geht nicht

Angelika Mende bastelt, was sonst niemand anbietet – in ihrer „Werkstatt für Unbeschaffbares“

„Das hier ist das Tagebuch von Josef Mengele, das ich gefälscht habe“, sagt Angelika Mende. Sie hat ein bräunliches Büchlein mit fleckigem, angerissenem Deckel aus dem Regal genommen. Die ersten Seiten kleben zusammen, dahinter stehen in gut lesbarer Männerschrift die Erinnerungen des 1979 gestorbenen KZ-Arztes von Auschwitz. „Zum Glück hatte ich eine Schriftprobe“, sagt Angelika Mende, „ich hätte eine viel ältere Schrift vermutet.“

Das Tagebuch des Massenmörders für den Film „Nichts als die Wahrheit“ mit Götz George war eine ihrer leichteren Übungen. Sie hat schon ganz andere Dinge gebastelt, seit sie im April 2003 ihre „Werkstatt für Unbeschaffbares“ eröffnet hat. Das schmuddlige Büchlein gab’s auf dem Flohmarkt, „und nachdem ich als Kind zum ersten Mal die Handschrift meiner Mutter unter einer Fünf gefälscht hatte, dachte ich, he, so was kann ich ja gut.“

Früher hat Angelika Mende Schaufenster im Kadewe dekoriert und Filmsets ausgestattet. „Als Requisiteurin muss man ja immer mal 47 rosa Regenschirme besorgen oder einen Waffenkoffer.“ Vieles lässt sich kaufen, manches ausleihen – aber einiges gibt es einfach nicht. Deshalb machte sie sich nach der Geburt ihrer Tochter mit der Werkstatt in ihrer Friedrichshainer Wohnung selbstständig. Das Zimmer ist ein großer heller Raum mit einer Glühlampe an der Decke und einer Neonleuchte über dem hölzernen weißen Arbeitstisch, auf dem das Puppenstubenmodell einer von ihr gestalteten Bar in Mitte und eine Nähmaschine stehen. An einer Wand steht ein Metallregal voller Blech- und Pappkisten, Klebestreifen, Hölzchen, Farben, Beize, Stoffe, Filz und allen denkbaren Kleinwerkzeugen. Im Regal gegenüber bewahrt Angelika Mende einen Vorrat an vergilbtem Papier auf, denn das wird öfter mal gebraucht. Falls es nicht reicht, klappert sie Druckereien ab. „Und wenn gar nichts mehr hilft, lege ich welches in den Backofen. Da altert es auch.“ Einmal, als sie einen kompletten Aktenkeller von 1920 bestücken sollte, gab es glücklicherweise gerade neue Telefonbücher. Da hat sie die alten zu Hunderten gerettet, um Papier zwischen die Ordnerdeckel stecken zu können. Selbst die heute üblichen Leitz-Ordner würde sie nie leer in einen Schrank stellen – weil sich durch das Loch im Ordnerrücken ahnen lässt, ob Papier drin ist oder nicht. „Der schönste Film ist für mich vorbei, wenn ein Requisitenfehler drin ist“, sagt sie. Kinderzimmer, in denen keine Spielsachen unter dem Bett liegen, zum Beispiel. Und: „Ich glaube, ich sehe geschlossenen Schränken an, ob sie leer sind.“

Sie ist Vegetarierin. Insofern gehörte die Anfertigung von 3500 Jahre alten Knochen für die Krimiserie „Eva Blond“ zu ihren unangenehmsten Aufgaben: Schweinestücke vom Fleischer holen, einen Tag lang kochen, Fleisch abschaben („es war ekelhaft“), mit Stichsäge und Schmirgelpapier bearbeiten, patinieren. Wenigstens konnte sie die Zähne, die außerdem gebraucht wurden, aus Ton modellieren.

Ein originalgetreuer Nachbau von John Heartfields „Preußischem Erzengel“ aus der Werkstatt für Unbeschaffbares hat es bis ins New Yorker Museum of Modern Art geschafft. Die vier Vogelscheuchen, die sie neulich gebastelt hat, waren dagegen nur kurz in einem Film zu sehen. „Es gibt keinen Laden, in dem man Vogelscheuchen kaufen kann“, sagt Angelika Mende. Ebenso wenig, wie es einen Laden für einen Currywurstpokal, ein faltbares Schachbrett aus den 50er-Jahren, in der DDR geschriebene und gestempelte Briefe oder mobile Radarfallen gibt. All diese Dinge hat Angelika Mende schon hergestellt. „Die Kinder aus der Straße stehen oft vor dem Schaufenster, und meine kleine Tochter ist wahnsinnig stolz“, erzählt sie. Ihr Wunderladen hat einen Nachteil: Nur wenige Privatleute können oder wollen bezahlen, was sie baut. Sie redet nicht über Geld, aber sie nennt ein Beispiel: Ein Möbelhaus stornierte seine Bestellung von drei Weihnachtskugeln à vier Meter Durchmesser angesichts des kalkulierten Stückpreises von 30 000 Euro – „inklusive Miete für eine Halle, Lastwagen, tonnenweise Styropor und zehn Leuten, die da wochenlang dran schleifen“. Schade, sagt Angelika Mende, die Idee habe ihr gefallen. „Man kann auch ein 200 Meter hohes aufblasbares Gummibärchen herstellen“, sagt sie. „Aber das ist logistisch so ein Mammutprojekt, dass es keiner bezahlen will.“ Gibt es irgendwas, was gar nicht ginge? Sie überlegt eine Weile. Aber ihr fällt nichts ein.

Infos im Internet: www.werkstatt- fuer-unbeschaffbares.de

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