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Berlin: Glaube, Liebe, Küsse

Blätterteigtaschen, gegrilltes Fleisch im Brot und schwarzen Tee, den die Frauen auf der Picknick-Decke in kleine Gläser füllen - Arne Protz, heute 24, erlebt die Türkei im Sommer 1994 zum ersten Mal. Zuvor wusste er noch nicht mal, wie ein Döner schmeckt.

Blätterteigtaschen, gegrilltes Fleisch im Brot und schwarzen Tee, den die Frauen auf der Picknick-Decke in kleine Gläser füllen - Arne Protz, heute 24, erlebt die Türkei im Sommer 1994 zum ersten Mal. Zuvor wusste er noch nicht mal, wie ein Döner schmeckt. Den gab es in Rathenow, wo er herkommt, nicht.

Doch dann kam die Sache mit dem Schüleraustausch Rathenow-Bursa, den die Stadtverwaltung Anfang Februar 1994 organisierte. 15 türkische Schüler reisten nach Rathenow. Weil die Deutschen anfangs so verschlossen waren, organisierten die Türken einen Disco-Abend mit orientalischer Musik in der Jugendherberge. Die Rathenower tauten auf. Auf der Ausflugsfahrt nach Berlin hätte sich Arne gerne mit Ece, heute 22 Jahre, unterhalten. Doch sie sprach kein Deutsch, sondern nur Englisch. Das war Arne zu unsicher. Deshalb blieben die beiden zunächst stumm im Bus nebeneinander sitzen. Zum Ende des Austausches änderte sich das. Am Abschiedstag fielen sich die deutschen und türkischen Schüler schluchzend in die Arme. Der einzige Trost: Im Sommer würden die Deutschen zum Gegenbesuch kommen.

Der Programmpunkt heißt: "Einen Tag mit einer türkischen Familie verbringen", als Arne im August mit Eces Familie beim Picknick unter der sengenden Sonne sitzt. Eces Eltern arbeiten beide als Lehrer. Sie freuen sich einerseits für ihre Tochter, dass sie einen anderen Kulturkreis kennen gelernt hat, und dass die Deutschen nun auch die Türkei erleben wollen.

"Er kann wie Shakespeare schreiben", schwärmt Ece ihren Freundinnen vor. Die wiederum glauben, dass sich etwas anbahnt zwischen den beiden. Ein paar Monate später besucht er seine Freundin in Istanbul. Ece hat dort ihr Biologie-Studium begonnen. Im Hotelbett liegt Ece eng an Arne gekuschelt. Außer Küssen passiert noch nichts. Arne weiß, dass die türkischen Frauen - streng genommen - als Jungfrau in die Ehe gehen müssen. Er will nicht unnötig vorpreschen. "Wir lieben uns, alles andere war damals noch nicht so wichtig", sagt Ece. Eineinhalb Jahre lang gedulden sie sich. Als die beiden im vergangenen Sommer ihr Studium abgeschlossen haben, denken sie ans Heiraten. Doch das Thema "Hochzeit" zwischen Deutschen und Türken ist komplexer, als es sich die Freunde vorstellen. Arnes Eltern hatten damit kein Problem. Doch wie würden nun Eces Eltern reagieren?

Im Allgemeinen ist es für eine türkische Frau nicht einfach, einen Mann aus einem anderen Kulturkreis zu heiraten. Im Gegensatz zum türkischen Mann. In der türkischen Tradition wird davon ausgegangen, dass "es ehrenhaft ist, wenn ein türkischer Mann beispielsweise eine deutsche Frau heiratet", sagt die Ausländerbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg, Emine Demirbüken. "Weil er die deutsche Frau in seinen Kulturkreis mit hineinbringt." Will aber eine türkische Frau einen deutschen Mann heiraten, sei das etwas Unehrenhaftes. "Denn die Tochter geht ihnen an den deutschen Mann und somit dem türkischen Kulturkreis verloren." Diese unterschiedliche Sichtweise habe immer noch mit der Rollenverteilung in der Türkei zu tun. "Beim Mann sehen die Türken eine bi-nationale Ehe als Gewinn an, bei der Frau als Verlust." Doch diese traditionelle Sichtweise hat sich im Laufe der letzten vierzig Jahre gewandelt. Gerade in gebildeten Schichten sei es heutzutage kaum noch ein Problem, wenn eine türkische Frau einen Deutschen heiraten möchte. Tacciddin Yatkin, Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin (TGB) erklärt: Anfang der Sechziger Jahre wäre es kaum möglich gewesen, dass eine türkische Frau einen Deutschen heiratet. Doch mittlerweile haben sich die beiden Kulturkreise aneinander gewöhnt. Deutsche und Türken wissen mehr voneinander als früher. Das Statistische Landesamt hat registriert, dass im Jahr 2000 in Berlin 648 deutsch-türkische Ehen geschlossen worden sind. Bei 536 davon war der Mann Türke, die Frau Deutsche. Die Zahlen dokumentieren, dass eine umgekehrte Konstellation immer noch seltener ist.

Ece hat Glück, dass ihre Eltern Akademiker sind, sagt sie. Als sie am Essenstisch von den Plänen der beiden erfahren, bricht die Mutter vor Rührung sofort in Tränen aus, der Vater lächelt sanft und sagt zu Arne: "Ich gebe sie dir." Als die türkischen Verwandten davon erfahren, reagieren sie ablehnend. "Das müsst ihr verhindern", hätten sie die Eltern gedrängt. Doch die lassen sich nicht beirren. Am 15. Februar heiratet das Paar im Standesamt Neukölln in der Blaschkoallee.

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