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Gleisdreieck

© Kitty Kleist-Heinrich

Gleisdreieck: Angst unterm Apfelbaum

Die Kleingartenkolonie "Potsdamer Güterbahnhof" soll verschwinden. Friedrichshain-Kreuzberg will dort Fußballplätze bauen.

Verwunschen schlängelt sich der Weg an hohen Hecken, blühenden Sträuchern und alten Obstbäumen vorbei. Rosen ranken über die Zäune, der würzige Duft von Rucola liegt in der Luft, in einigen Metern Entfernung hoppelt ein Kaninchen vorbei. Wer mit der U-Bahn-Linie 2 über das Gelände am Gleisdreieck rauscht, übersieht dieses Idyll leicht. Auf die Schnelle nimmt man von der Bahnbrücke aus vor allem eine große, hässliche Brachfläche wahr. Anders ging es Volkmar Wohlgemuth: Der 46-Jährige fuhr jahrelang jeden Tag mit der Bahn über die Kleingartenkolonie „Potsdamer Güterbahnhof“, kurz POG genannt, und träumte von einer eigenen Laube in dieser grünen Lunge mitten in der Stadt. Vor einem Jahr war es dann soweit, Wohlgemuth konnte eine frei werdende Parzelle pachten. Seitdem wächst in seinem Schrebergarten eine wahre Pflanzenpracht aus Hortensien, Wein, Süßkirschbäumen und Naturwiesen.

Doch sein Laubenglück soll nicht von langer Dauer sein. Vor einiger Zeit hat er an seinen Gartenzaun von außen ein Transparent gehängt, darauf steht in bunter Schrift „www.wir-bleiben.de“. Denn der POG ist gefährdet, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg möchte hier zwei große Fußballplätze samt Umkleidekabinen für den Kreuzberger Fußballverein Türkiyemspor bauen. Dafür müsste der größere, südliche Teil der traditionsreichen, 60 Jahre alten Kleingartenanlage mit seinen rund 50 Parzellen dem Erdboden gleichgemacht werden. „Es ist absurd, dass für einen nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Trainingsplatz diese gewachsene Grünanlage mit ihrer biologischen Diversität und ihrer lebendigen Sozial- und Industriegeschichte zerstört werden soll“, sagt Klaus Trappmann, Vorsitzender des POG.

Sehr kurzfristig hatte der Bezirk Ende März 5,5 Millionen Euro im Rahmen überbezirklicher Investitionsplanung beantragt, weil Türkiyemspor seit Jahren über keine eigenen Trainingsmöglichkeiten für seine Kinder- und Jugendmannschaften verfügt und auf Plätze in Marzahn, Hohenschönhausen oder Pankow ausweichen muss. Der „mit heißer Nadel gestrickte Dringlichkeitsantrag“, so nennt ihn Trappmann, wurde dann aber wieder zurückgezogen. „Wir haben erst bei der anschließenden Einpassungsstudie gesehen, dass das trapezförmige Gelände die beiden Sportplätze gar nicht fassen kann“, gibt auch Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) Versäumnisse zu. Es sei sein Ziel, wenigstens die Hälfte der bedrohten Kleingärten zu erhalten.

Eine weitere Rolle beim Rückzug des Antrags dürfte gespielt haben, dass Innensenator Ehrhart Körting (SPD) Türkiyemspor Anfang April die Nutzung der Anlagen im Jahn-Sportpark zugesagt hat, der nun für rund 4,5 Millionen Euro umgebaut wird. Doch für Celal Bingöl, Vorstand des Kreuzberger Fußballvereins, bietet das Gelände am Jahn-Stadion keine Lösung für seine jungen Spieler: „Ich will 7-Jährige aus Kreuzberg nicht mehr durch die halbe Stadt schicken müssen“, sagt Bingöl aufgebracht. Jedes Jahr würde er rund 1500 Kinder wieder nach Hause schicken, weil nicht ausreichend Trainingskapazitäten vorhanden seien. „Alle betonen immer unser soziales Engagement und wie toll es sei, dass wir die Migrantenkinder von der Straße holen. Aber keiner tut etwas dafür!“ Das Entscheidungs-Hickhack rund ums Gleisdreieck sei reines politisches Ränkespiel.

Die Kleingärtner des POG sprechen sich für die Koexistenz von Sport und Laubenkolonie aus. „Hier haben mittlerweile Einwanderer aus 15 Nationen eine Parzelle gepachtet, wir stehen ebenfalls für ein multikulturelles Miteinander“, sagt Trappmann. Eduardo Solano, gebürtiger Kolumbianer und Mitglied des Kreuzberger Umweltausschusses, ist seit zwei Jahren Pächter und züchtet auf seiner Parzelle Salat und alte Apfelsorten. Der 51-Jährige fordert die Einstufung der Anlage als geschützte Dauerkleingartenkolonie. Ob seine Vorschläge, die Trainingsplätze für Türkiyemspor an anderer Stelle auf dem für 2010 geplanten weitläufigen „Gleisdreieck-Park“ oder auf dem Flughafengelände Tempelhof anzulegen, ein offenes Ohr finden, bleibt abzuwarten. Bezirksbürgermeister Schulz lädt Kleingärtner und Vertreter des Landessportbundes Berlin am Freitag an den runden Tisch.

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