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Glosse: Freie Fahrt zu Fuß

Maris Hubschmid hatte sich kurzzeitig mit der S-Bahn versöhnt

Von Maris Hubschmid

Am Donnerstag, dem 25. November, habe ich der S-Bahn verziehen. Es war der Tag, an dem ich meinen Kontoauszug holte und feststellte, dass mir die monatliche Gebühr für mein Nahverkehrsticket diesmal tatsächlich nicht in Rechnung gestellt worden war. „Abonnenten, Nutzer von Jahreskarten oder Semestertickets fahren zwei Monate kostenlos“ hatte die BVG kurz zuvor über die Medien verlauten lassen. „Dieses Angebot wird im Rahmen der Entschuldigungsleistungen der S-Bahn Berlin für deren Betriebseinschränkungen in den letzten Monaten gewährt.“

Betriebseinschränkungen, zu Deutsch: stark reduzierte, verspätete oder gänzlich ausfallende Züge, ja! - Wir Berliner haben einiges hinnehmen müssen in der letzten Zeit. Der allgemeine Ärger war groß, meiner insbesondere, ich habe gelästert, geflucht, der Dame vom BVG-Kundenservice auf’s Wüsteste was in den Hörer geschimpft. Obwohl ich wusste: Sie kann nichts dafür. Jetzt also zwei Monate Freifahrt als Entschädigung, das ist angemessen, dachte ich, das ist fair. Man ist ja immer auch ein bisschen Materialist. Mit dem genugtuenden Gefühl, etwas gespart zu haben, kaufte ich mir ganz außerordentlich ein neues paar Stiefel. Ein Geschenk der BVG, erklärte ich meinem Gewissen.

Gestern habe ich die Telefonnummer des BVG-Kundenservices in mein Handy eingespeichert. Es war der Tag, an dem ich zu spät zur Arbeit kam, weil auf dem Bahnsteig meiner Bahnstation die Information „hier zur Zeit kein Zugverkehr“ über die Bildschirme lief. Der Tag, an dem ich mich zur Tramhaltestelle aufmachte, wo zehn Minuten lang „Zug fährt in 1 Minute“ auf der Anzeigetafel blinkte, dazu der aufschlussreiche Hinweis „wegen wetterbedingter Weichenstörungen verkehrt die Linie M10 zur Zeit in beiden Richtungen nur unregelmäßig“. Es war der Tag, an dem ich - endlich von einer völlig überfüllten Straßenbahn am Bahnhof einer weiteren U-Bahn-Linie abgesetzt - vor einem Bildschirm mit der Anzeige „Zug verspätet, bitte Geduld“ die Geduld verlor, entschied, mich zu Fuß durchzuschlagen und meine neuen Stiefel bei einem Marathonlauf durch den Schneematsch ruinierte. Wäre ein Taxi gekommen, hätte ich es genommen. Für alles Geld der Welt.

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