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Berlin: Glückssträhne für illegale Wettbüros

Private Tippgeschäfte florieren, obwohl sie verboten sind. Trotz 200 Strafverfahren wurde bisher keine Spielhalle geschlossen

Ein Mann schiebt zwei Euro-Stücke über die Ladentheke. „Nummer fünf auf Platz“, sagt er. Die Münzen verschwinden unter dem Tresen. Der Kassierer reicht einen Papierschnipsel herüber. Unter der Decke hängen Flachbildschirme. Sie zeigen die Quoten an. 13 Sekunden später flitzen computeranimierte Hunde los. Nach einer halben Minute zerknüllt der Mann seinen Wettschein. Er sackt noch etwas tiefer auf seinem Stuhl zusammen. Nummer fünf wurde abgehängt. Glück hat bei diesen Spielen meistens nur das Wettbüro. Dort sprudeln die Umsätze. Das ist zwar alles illegal. Den Ladeninhabern aber ist das egal – Berliner Gerichte lassen sie gewähren.

Deshalb schießen Wettbüros wie Pilze aus dem Boden. Allein auf der Potsdamer Straße entstanden in den vergangenen Monaten sieben neue Läden. Besuch von Kriminalpolizei oder Ordnungsamt haben die meisten von ihnen schon bekommen: In Berlin laufen gegenwärtig 200 Strafverfahren gegen Wettbüros. Dessen ungeachtet klingeln dort die Kassen. Wie hoch der Umsatz der Branche ist, wissen die Behörden nicht. Dazu ist das Geschäft zu jung. Auch ist derzeit noch völlig unklar, ob die illegalen Unternehmer ihre Einkünfte anmelden werden. Dass Spieler mehrstellige Millionenbeträge in den Wettbüros verlieren, lässt die steigende Zahl von Neueröffnungen vermuten: Allein im vergangenen Monat wurden den Behörden 30 neue Fälle bekannt, vor allem in den Bezirken Tiergarten, Neukölln und Wedding. Alle erhielten gleich lautende Anzeigen. Den Betreibern wird die „unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels“ zur Last gelegt. Darauf stehen bis zu zwei Jahre Haft. Doch die straffälligen Unternehmer können sich zurücklehnen. „Wir können die Läden nicht sofort dicht machen“, sagt Gitte Huwe, Dezernatsleiterin Glücksspiel beim Landeskriminalamt.

Die Gerichte verhindern es. Denn die Betreiber der Wettbüros legen fast immer Einspruch gegen die an sie gerichteten Unterlassungsverfügungen ein. Die Gerichte zögern aber, wenn die Ordnungsämter dann einen Vollstreckungstitel beantragen. Denn vor dem Bundesverfassungsgericht wird gegenwärtig über die Grundlage für das Verbot der privaten Wettbüros verhandelt: das staatliche Wettmonopol in Deutschland. Danach darf ausschließlich der Bund Glücksspiele wie Roulette oder Poker sowie alle Sportwetten anbieten. Private Büros dürfen nur Pferdewetten annehmen. Weitaus größere Freiheiten lassen Nachbarländer wie Österreich, Großbritannien oder Irland den Anbietern privater Wetten. Ein großer Markt, den die Europäische Union den privaten Wettpaten auch in Deutschland öffnen will. Das staatliche Monopol stört da den freien Wettbewerb. So urteilte der Europäische Gerichtshof im November 2003, dass Deutschland ausländische Lizenzen anerkennen müsse. Darüber können sich auch die Karlsruher Richter nach Expertenmeinung nicht hinwegsetzen. Darauf spekulieren die Inhaber der Wettbüros, die das Geschäft ankurbeln, um sich in Stellung zu bringen für die Fußball-WM.

Die Behörden sehen dem Spiel machtlos zu. Die meisten Wettbüros berufen sich nach Angaben der Polizei auf Genehmigungen aus anderen europäischen Ländern. Einige besitzen auch Lizenzen, die sie zu DDR-Zeiten erhalten haben wollen. Nichts davon lässt die Eröffnung eines Wettbüros zu. Dennoch ist in der Potsdamer Straße alles möglich: Der Roulette-Tisch steht im ersten Stock. Am Tresen im Erdgeschoss wird im Minutentakt auf den Ausgang virtueller Hunde- oder Pferderennen getippt. Man kann auf Halbzeit- oder Endergebnisse von Fußballspielen setzen, auf den Ausgang von Tennis- oder Basketballspielen sowie von Billard-Turnieren. Vielleicht dienen die Hallen, die sich den Kontrollen entziehen, auch einem anderen Zweck: der Geldwäsche. „Bisher ist uns kein Fall bekannt“, heißt es bei der Kriminalpolizei.

Gegen das inflationäre Angebot von Wetten sprechen sich Bund, Kripo und Berliner Behörden auch aus, weil Glücksspiele süchtig machen können. „Ein Spielsüchtiger fällt zwar nicht so auf wie ein Drogen- oder Alkoholkranker“, sagt Beate Martonne vom Sucht-Referat der Senatsverwaltung für Soziales. Doch die Wirkung sei ähnlich zerstörerisch: Weil der Tagesablauf von der Sucht bestimmt wird, komme es zu Isolation und Armut.

Ob die neuen Wettbüros mehr Menschen in die Abhängigkeit treiben, lässt sich noch nicht sagen. Der Weg in die Krankheit dauert fünf bis 15 Jahre, so die Erfahrung im „Café Beispiellos“, der einzigen Berliner Betreuungsstelle ausschließlich für Spielsüchtige. „Deshalb gab es im Osten der Stadt auch Jahre nach der Wiedervereinigung keinen Spielsüchtigen“, sagt Psychologe Andreas Koch. Heute stammten 30 Prozent der Spielsüchtigen aus dem Ostteil Berlins. Erst in Jahren werde sich zeigen, wie stark die neuen Wettbüros die Sucht fördern. Weitere negative Auswirkungen sieht Hans-Jürgen Reißiger von der Klassenlotterie Berlin, sollte das staatliche Wettmonopol fallen. Auf einer Veranstaltung von Sportjournalisten spricht er am Montagabend von den finanziellen Folgen für die Stadt. Dann werde es „dramatische Einbußen“ bei den Zuwendungen für Jugendarbeit und Sportvereine geben.

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