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Berlin: Gott liebt auch ein kleines Licht

Kirchgang ins Gemeindehaus

SONNTAGS UM ZEHN

Menschenleer liegt Sonntagvormittag die Bülowstraße da. Nur zwei ältere Frauen streben eilig in Richtung Dennewitzplatz, im Vorbeigehen sind russische Gesprächsfetzen zu hören. Minuten später trifft man die beiden wieder – im Gemeindehaus der evangelischen LutherKirchengemeinde. Seit Dezember 2002 ist der schmucklos-moderne Zweckbau in der Bülowstraße 71 das räumliche Zentrum des Gemeindelebens – die Luther-Kirche gegenüber ist an die American Church in Berlin vermietet. Für die gerade mal neun Gottesdienstbesucher wäre gestern die Kirche auch zu groß gewesen.

Während der weißhaarige Pfarrer draußen vor der Tür schnell noch seine Beffchen über dem Talar ordnet, verteilt drinnen im wohlig warmen Gemeindesaal ein junges Mädchen die Gesangbücher. Vor einem grauen Bühnenvorhang brennen zwei dicke Kerzen auf einem blumengeschmückten Altar, auf dem Jesus an einem schlichten Holzkreuz für uns alle leidet. An den Wänden ringsumher bunte Fotos aus dem Gemeindeleben, in dem es neben vielen Kindern und alten Menschen vor allem immer mehr sozial Schwache zu betreuen gibt.

Nicht nur das erste Lied des gestrigen Gottesdienstes singt der Pfarrer fast allein – von irgendwoher aus dem Haus ist dabei kräftiges Gemurmel zu hören. Donald Weihmann blickt irritiert in die kleine Gemeinde – „das sind die Amerikaner“, klärt eine alte Dame den Gastpfarrer über die unsichtbare Störquelle auf. „Das geht aber nicht“, sagt dieser leicht ungehalten. Es geht. Mit lautem Predigtton setzt sich der seit sieben Jahren aus seinem ungeliebten Ruhestand immer wieder gern auf Berliner Kanzeln als Vertretung einspringende Pfarrer erfolgreich gegen das unsichtbare amerikanische Stimmengelage und die draußen in Abständen vorbeidonnernde Hochbahn durch.

Aus dem zweiten Brief des Paulus an die Korinther spricht er über jenes Kapitel, in dem der Apostel viele „aber“ anführt. „Uns ist bange, aber wir verzagen nicht“, heißt es da, oder „Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um“. Deshalb nicht, weil Gott das Licht aus der Finsternis hervorholt – die Erscheinung von Jesus Christus. „Das Licht der Welt ist uns in diesem Kind erschienen“, sagt der Pfarrer. Dieses Licht sei es, dass einen hellen Schein in unsere Herzen gibt und uns erleuchtet. Wie aufs Stichwort reißt da draußen der graue Regenhimmel auf und lässt für eine Sekunde die bunten Mosaikfenster im Gemeindesaal hell erstrahlen.

„Wir sind die Lichtträger“, verheißt da passend die Predigt – auch, wenn sich manche selbst nur als „ein kleines Licht“ sehen und sich damit von einer Leistung befreien, die sie nicht erbringen können. Gott erleuchtet uns, er schenkt uns Zutrauen: Auch wenn ich schwach bin, bin ich stark. Wir haben keinen Grund, uns zu verstecken, aber auch keinen Grund, uns aufzuspielen oder andere klein zu machen.

„Wir sind nicht die Nummer eins, aber wir sind die, die er liebt“, legt der Pfarrer seinen Zuhörern ans Herz. Das können die sicher auch brauchen – nur ein paar Straßen weiter lieferten sich auch an diesem Wochenende zwei Gangs ein tödlich endendes, sinnloses Gemetzel. hema

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