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Berlin: Grüne Muskelspiele

Die Umfragewerte verleihen der Partei neues Selbstbewusstsein. Sie setzt auf eine Mehrheit für Rot-Grün

Von Sabine Beikler

Nach fünf Jahren Oppositionspolitik wollen die Grünen wieder an die Regierung. Und ihre Chancen dafür stehen gut: Laut jüngster Umfrage von Infratest dimap ziehen die Grünen mit der Linkspartei/PDS gleich und kommen auf jeweils 16 Prozent. Somit könnte sich die SPD, die auf 32 Prozent kommt, aussuchen, ob sie mit der PDS oder den Grünen weiterregieren will. „Rot-Grün ist möglich. Die PDS wird der Wahlverlierer sein“, sagt drei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl schon siegessicher Fraktionschef Volker Ratzmann. Auch wenn die Erwartungen der Partei, drittstärkste Kraft zu werden und eine Mehrheit für Rot-Grün zu erhalten, sich nicht erfüllen sollten: Selbst Rot-Rot-Grün ist bei den Grünen nicht mehr ausgeschlossen.

Noch vor fünf Jahren warnten prominente Grüne wie Wolfgang Wieland, Ex-Justizsenator und Bundestagsabgeordneter, davor, bei einem rot-rot-grünen Bündnis weder Gewicht noch Einflussmöglichkeiten zu haben. Die Partei dürfe „keine grüne Girlande um einen rot-roten Block werden“, sagte Wieland im Oktober 2001 im Tagesspiegel vor dem Hintergrund einer deutlich rot-roten Mehrheit. Heute stehen die Grünen als Mehrheitsbeschafferin für Rot-Rot bereit, wenn auch zähneknirschend. Darüber wird parteiintern auch nicht mehr gestritten: „Es geht nicht um Lieblingskoalitionen, sondern um Realität“, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig am Wochenende im Tagesspiegel-Interview. Die Grünen verweisen darauf, dass sie – im Gegensatz zu den deutlich rot-roten Mehrheitsverhältnissen 2001 – unter Rot-Rot-Grün politisch prägender sein könnten.

Auch von der FDP wollen die Grünen Stimmen abziehen. Die Partei betont bewusst das „liberale Element“ (Eichstädt-Bohlig) in ihrer Politik. Beispiel Umgang mit der BVG: Die Grünen wollen das landeseigene Unternehmen im Gegensatz zur FDP nicht gänzlich dem Wettbewerb aussetzen, sondern plädieren für Teilprivatisierung. Die Schienenwege sollen in Landesbesitz bleiben, der Transport jedoch ausgeschrieben und an private Anbieter übergeben werden, um Fahrgästen mehr Komfort und billigere Fahrpreise anbieten zu können. Sie sind wie die FDP für eine Liberalisierung des Strommarktes und fordern ebenso einen schnelleren Bürokratieabbau und eine Verwaltungsreform. „Jeder, der ein liberales Verständnis hat, muss Grün wählen“, sagt Ratzmann. Es gehe nicht um die „komplette Liberalisierung und Deregulierung“, sondern um größere Ausgewogenheit und Differenzierung.

Selbst bürgerliche CDU-Wähler wollen die Grünen überzeugen. Damit könnten sie sogar Erfolg haben: Im Gegensatz zur Union, die die meisten Sparvorschläge ablehnte, haben die Grünen eine mittlere Position bei den rot-roten Sparanstrengungen eingenommen. Ihre Oppositionspolitik ist anerkannt, weil sie auf viel Detailkenntnis basiert. Selbst Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sieht bei den Grünen „Verständnis und Kompetenz“. So haben die Grünen den Solidarpakt unterstützt und stehen für einen weiteren Personalabbau im öffentlichen Dienst.

Angesichts der guten Umfragewerte proklamieren die Grünen auch potenzielle Regierungsämter. Bildung, Stadtentwicklung und Wirtschaft/Arbeit sind die Ressorts, mit denen die Partei liebäugelt. Auf auswärtige Kandidaten für einen Senatorenposten muss die Partei im Gegensatz zur CDUnicht zurückgreifen: Als ministrabel gelten Fraktionschefin Sibyll Klotz, Franziska Eichstädt-Bohlig oder Volker Ratzmann. Er wird wie Wolfgang Wieland für das Justizressort gehandelt. Doch Wieland will sich an solchen Spekulationen nicht beteiligen. „Ich habe im Bundestag keine Sinnkrise.“ Im Übrigen müsse man das Wahlergebnis abwarten.

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